Projektbeschreibung

Das Projekt im Kurzprofil

Das Projekt im Kurzprofil

Laufzeit: 15.05.2024 bis 14.05.2027

Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte IN FORM-Projekt ist ein Verbundprojekt der Europa-Universität Flensburg mit den Verbraucherzentralen (VZ) der Bundesländer. Im Fokus steht die Stärkung der Ernährungskompetenz von Menschen, die von Ernährungsarmut bedroht oder betroffen sind und die modellhafte Erprobung nachhaltiger Ernährungswelten.

Ziel des Projektes ist es, Verbraucher: innen, die von Ernährungsarmut betroffen oder armutsgefährdet sind, dabei zu unterstützen und zu befähigen, sich auch mit geringen finanziellen Ressourcen gesund und nachhaltig zu ernähren.

Die Verbraucherzentralen in den Bundesländern übernehmen hierbei die Umsetzung der Angebote für Verbraucher*innen sowie Multiplikator: innen vor Ort. Zu den Maßnahmen gehören Informations- und Bildungsveranstaltungen, beispielsweise zu günstigen und dennoch gesunden und nachhaltigen Mahlzeiten, Haushalts- und Budgetplanung, mobile Mitmach-Aktionen, Einkaufstrainings und Kochkurse. Die Europa-Universität Flensburg begleitet modellhaft Einrichtungen bei der Gestaltung einer gesunden und nachhaltigen Ernährungsumgebung und übernimmt die wissenschaftliche Begleitforschung.

Bereits vorhandene Ansätze aus den vorangegangenen Vorhaben "KlimaFood" und "Gemeinschaftsaktion – Ernährung in der Krise" dienen als Handlungsgrundlage für die geplanten Maßnahmen sowie für die Weiterentwicklung und Optimierung neuer Konzepte auf Verhaltens- und Verhältnisebene. Dabei werden die individuellen, psychosozialen Determinanten der Ernährungsarmut in den Bereichen Ernährungskompetenz, Selbstwirksamkeitserwartungen, soziale Unterstützung und Ernährungsbewusstsein fokussiert.

Im Projekt sollen Verbraucher: innen, die von Ernährungsarmut betroffen oder armutsgefährdet sind (vulnerable Verbraucher: innen) erreicht werden. Dazu zählen:

  • Menschen mit niedrigem Einkommen/ Sozialleistungsempfangende
  • Langzeitarbeitslose
  • Menschen mit niedrigem Bildungsniveau
  • Senior*innen mit kleiner Rente
  • Menschen mit Migrations-/ Fluchthintergrund oder Sprachbarrieren,
  • Personen mit Behinderung
  • Studierende mit geringem Bafög und Auszubildende mit geringer Entlohnung
  • Alleinerziehende, junge Familien bzw. Familien mit vielen Kindern

Neben den Verbraucher:innen sollen Vor-Ort-Multiplikator: innen, welche mit der Zielgruppe direkt arbeiten, mithilfe der Projektinhalte im Bereich der Ernährungsbildung empowert werden.

  • Sozialarbeiter:innen und Pädagog:innen in Stadtteilen, Familien-, Frauen-, Senioren- und Jugendzentren
  • Fachkräfte in Volkshochschulen
  • Haupt- und Ehrenamtliche bei Tafeln und anderen sozialen Einrichtungen
  • Streetworker:innen in Quartieren

Abbildung: Gesamtkonzept des Projektes (Eigene Darstellung)

Projektstruktur

Projektstruktur

Um die Zielgruppe mit Aktionen und Maßnahmen zu nachhaltiger und gesunder Ernährung zu erreichen werden drei verschiedene Wege verfolgt, die im folgenden Organigramm grafisch dargestellt sind. 

Geh-Struktur

Ernährungsbildungskonzepte werden entwickelt und erprobt und die Zielgruppen, die nicht über bestehende Strukturen zu erreichen sind, in ihren Lebenswelten aufgesucht. Man spricht hierbei auch von einer sogenannten "aufsuchenden Ernährungsbildung", um das Lernen im Lebensraum der Zielgruppe zu ermöglichen. Es werden Angebote und Materialien entwickelt, welche Verbraucher*innen dort aufsuchen und antreffen, wo sie sich aufhalten: an Tafel-Ausgabestellen, in Einkaufszentren, Quartieren und Mensen sowie auf dem Campus von Hochschulen. Für die Angebote in der Geh-Struktur ist geplant, mobile Küchen mit dem Konzept "Mitmach-Küche" aber auch spielpädagogische Materialien und Experimente aus dem IN FORM-Projekt KlimaFood sowie Materialien der Verbraucherzentralen zu nutzen.

Komm-Struktur

Bildungs- und Aktionsangebote werden in bereits besthende Strukturen, Settings und Programme der Einrichtungen integriert. Dazu gehören beispielsweise Familienbildungsstätten und -zentren, Stadtteiltreffs sowie Angebote der Verbraucherzentralen. Die Inhalte werden hierbei an die Bedarfe der Zielgruppe angepasst und themenspezifisch erweitert. Beispielsweise in Form der Einbindung von sprachsensiblen Materialien aus dem Konzept "Lecker Deutsch" in Integrationskurse und Sprachcafés oder die Verwendung von spielpädagogischen Materialien in Jugend- und Familienzentren. Eine flexible, vernetzte Zusammenarbeit verschiedener Organisationen, Gemeinschaften und Einzelpersonen steht hierbei im Mittelpunkt, um schnell auf veränderte Bedingungen und Bedürfnisse zu reagieren. Im Kontext des lebenslangen Lernens soll eine stärkere curriculare Implementation der Themen "nachhaltige und gesundheitsförderliche Ernährung" vollzogen werden, um dessen hohes Wirkpotenzial innerhalb der Verbreitung von Inhalten zu nutzen

Train-the-Trainer

Dieser Ansatz bezieht sich auf langfristig angelegte Fortbildungen, um Vor-Ort-Multiplikator*innen inhaltlich und methodisch-didaktischen zu schulen. Hierbei werden die Multiplikator*innen dazu befähigt, Bildungseinheiten und Workshops mit zur Verfügung gestellten Materialien eigenständig durchzuführen. Die Weitergabe von fundierten Informationen und Tipps für eine günstige, gesundheitsfördernde und kostengünstige Ernährung im Alltag an Verbraucher*innen sowie die Anpassung von Inhalten an den Bedarf der Zielgruppe stehen dabei im Fokus. Der Train-the-Trainer-Ansatz erlaubt dadurch die Etablierung von langfristig nutzbaren, stetigen Strukturen und erhöht die Reichweite und den Transfer von Inhalten an die Zielgruppe.

Hintergrund: Ernährungsarmut in Deutschland

Hintergrund: Ernährungsarmut in Deutschland

Nach dem Bericht der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) litten bereits im Jahr 2022 über drei Millionen Menschen in Deutschland unter materieller Ernährungsarmut (FAO et al. 20221). Die Situation wird unter anderem durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, des Angriffskriegs auf die Ukraine und die Auswirkungen der Inflation mit steigenden Lebensmittelpreisen verschärft (WBAE 20232). Schon 2020 verteilten sich 70 % der Gesamtausgaben von Haushalten bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1.300 Euro auf die Bereiche Wohnen, Energieversorgung und Nahrungsmittel (Destatis 20203). Aufgrund fehlender finanzieller Mittel ist es den betroffenen Personen somit nicht möglich, eine für sie bedarfsgerechte und ausreichende Ernährung sicherzustellen. Damit einher geht oft auch soziale Ernährungsarmut, die verminderte Teilhabechancen und soziale Ausgrenzung mit sich bringt ((WBAE 20232, Setznagel 20204).

Menschen mit geringem sozioökonomischem Status weisen außerdem häufiger eine niedrigere Ernährungsqualität auf als solche mit hohem Einkommen. Übergewicht und Adipositas, Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weitere ernährungsbedingte Krankheiten, die mit einer verkürzten Lebenserwartung einhergehen, nehmen in der Bevölkerung weiterhin zu und werden in dieser Bevölkerungsgruppe deutlich häufiger diagnostiziert (Schienkiewitz 20225, Geffert et al. 20216, Kolpatzik & Zaunbrecher 20207).

Ernährungsbedingte Erkrankungen beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen massiv und verursachen darüber hinaus enorme Kosten für das Gesundheitssystem und die Betroffenen selbst (Kolpatzik 20178). Vor allem bei Kinder und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien liegt häufiger ein erhöhtes Körpergewicht und eine unzureichende Mikronährstoffzufuhr vor, welche Wachstumsverzögerungen und eingeschränkte kognitive Fähigkeiten verursachen (Biesalski 20219). Dies wiederum senkt ihre Chancen auf Bildungserfolge und macht es wahrscheinlicher, dass sie auch als Erwachsene in Armut leben werden.

Daraus ergibt sich eine Armutsspirale, die in der frühen Kindheit beginnt und gravierende Konsequenzen für faire Lebenschancen mit sich bringt (Roberts et al. 202210).

1 FAO, IFAD, UNICEF, WFP & WHO (2022): The state of food security and nutrition in the world 2022. Rome 2022.

2 Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMEL (2023). Ernährungsarmut unter Pandemiebedingungen. Stellungnahme. Berlin.

3 Destatis – Statistisches Bundesamt (2020). Private Konsumausgaben (Lebenshaltungskosten) nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen.

4 Setznagel, D. (2020). Ernährungsverhalten in Armut. soziales_kapital, 23, 151-168.

5 Schienkiewitz, A., Kuhnert, R., Blume, M., & Mensink, G. (2022). Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland-Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS.

6 Geffert K., Klinger C. & von Philipsborn P. (2021). Ernährungspolitik und soziale Ungleichheit hängen zusammen – Handlungsfelder für die Politik. Soziale Sicherheit, 12/2021. 434-439.

7 Kolpatzik, K. & Zaunbrecher, R. (Hrsg.). (2020). Ernährungskompetenz in Deutschland. KomPart.

8 Kolpatzik, K. (2017). Gemeinsam mehr erreichen. In: Gesundheit und Gesellschaft Spezial 7-8/2017.

9 Biesalski, H. K. (2021). Ernährungsarmut bei Kindern – Ursachen, Folgen, COVID-19.

10 Roberts, M., Tolar-Peterson, T., Reynolds, A., Wall, C., Reeder, N. & Rico Mendez, G. (2022). The effects of nutritional interventions on the cognitive development of preschool-age children: A systematic review. Nutrients, 14(3), 532.