Erkundungen an der europäischen Außengrenze: Sizilien-Exkursion 2015
Eine Gruppe von 14 Geographie-Studierenden brach in diesem Frühjahr in Begleitung von Holger Jahnke und Andrea Varriale nach Sizilien auf. Im Mittelpunkt der 7tägigen Exkursion standen Themen, die sich aus der geographischen Lage der Insel an der europäischen Außengrenze ergeben. Alle inhaltlichen Schwerpunkte waren während des Sommersemesters in einem Seminar zur regionalen Geographie Italiens vorbereitet worden. Während der Exkursion wurden dann Orte und Institutionen besucht sowie Interviews mit Expert_innen und Studierenden der Universität Palermo geführt.
Der Schwerpunkt der diesjährigen Exkursion lag auf der Situation geflüchteter Menschen auf Sizilien, wo schon seit vielen Jahren regelmäßig Menschen aus nordafrikanischen Häfen auf dem Seeweg ankommen. Viele von ihnen werden zunächst in unterschiedliche Aufnahmeeinrichtungen gebracht bevor sie entweder abgeschoben werden oder ihre Wege in andere Teile Italiens oder Europas fortsetzen. Viele von ihnen landen zunächst in der zerfallenden Altstadt von Palermo, wo sie erste Unterstützung von Hilfsorganisationen bekommen und Menschen in der gleichen Situation treffen. Durch die starke afrikanische Zuwanderung hat sich das Viertel um den Traditionsmarkt Ballarò inzwischen zu einem der belebtesten und vielfältigsten Stadtteile entwickelt; durch improvisierte Wohnungen, Bars und Kneipen ist in den verlassenen und zerfallenden Gassen ein buntes urbanes Nachtleben entstanden.
Das neu errichtete Abschiebelager C.I.E (Centro di identificatizione ed espulsione) in Trapani im Stil eines Hochsicherheitstrakts
Ganz im Kontrast dazu stand der Besuch eines neu errichteten Abschiebelagers in Trapani, das schon äußerlich einem Bunker gleicht und die andere Seite der italienischen Migrationspolitik verdeutlicht. Durch Expertengespräche mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, wie sicilia migranti und Helfern in Palermo konnten vertiefte Einblicke in die komplexe Flüchtlingsinfrastruktur sowie die konkrete Situation von Flüchtlingen auf der Insel gewonnen werden.
Die anschließende Rundreise führte zunächst nach Mazzara del Vallo, den größten Fischereihafen Italiens, wo einzelne Mittelmeerfischer auf ihren Booten interviewt wurden. Sie berichteten von ihren Schwierigkeiten mit der EU-Fischereipolitik, von Konflikten mit der libyschen Küstenwache und Erfahrungen in libyschen Gefängnissen, aber auch von ihren bewegenden Begegnungen mit Flüchtlingsbooten auf offener See.
Neben dem Schwerpunkt Flüchtlinge wurden aber auch andere Themen diskutiert, beispielsweise die Gentrifizierung eines Teils der palermitanischen Altstadt, die Antimafiabewegung, die regionale Tourismusentwicklung und die Auswirkungen der europäischen Wirtschaftskrise auf Armut und Zukunftsperspektiven der jungen Generation. In Interviews mit palermitanischen Studierenden wurde deutlich, wie stark deren Lebensentwürfe von der aktuellen Krise geprägt sind. Die meisten der interviewten Studierenden beabsichtigen nach dem Studienabschluss in die wirtschaftsstärkeren Länder Mitteleuropas abzuwandern, da sie in Sizilien keine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für sich sehen.
Zwischen den vielen Terminen blieb während der Woche nur wenig Zeit für die Erkundung der faszinierenden Naturlandschaft, der aktiven Vulkangebiete und der vielen touristischen Attraktionen der Insel, so dass einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer schon ihren nächsten sizilianischen Aufenthalt planen.
Holger Jahnke