Geiger-Müller-Zählrohr
(abgeschlossen)
Das Geiger-Müller Zählrohr war eines der ersten Geräte, welches alpha-, beta- und gamma-Strahlung elektrisch registrieren konnte. Der Zähler war bis in die 1960iger Jahre ein Standardinstrument der Radioaktivitäts- und Höhenstrahlungsforschung. Trotz seines Bedeutungsverlustes für die Forschung hat das Zählrohr immer noch symbolischen und praktischen Charakter für den Strahlenschutz (Abele 2004, Abele 2002).
Der 1928 gebaute Prototyp des Zählrohrs bestand aus einem evakuierbaren Messing Zylinder mit einem axial zentrierten, dünnen Stahldraht. Auf Grund der am Gehäuse anliegenden Spannung von 1400 Volt können auftreffende Beta-Teilchen und Gamma-Strahlung ein Elektron an der Innenseite des Metalls auslösen. Dieses Elektron beschleunigt im elektrischen Feld zwischen Gehäuse und Draht und kann auf seinem Weg Richtung Draht Moleküle des im Gehäuse verbliebenen Restgases ionisieren. Dieses Elektron der zweiten Generation wird zusammen mit dem Initialelektron ebenfalls zum Draht beschleunigen und auch weitere Gasmoleküle ionisieren können, die dann eine dritte, vierte, fünfte,... Generation an Elektronen produziert. Nach wenigen Millisekunden ist der Strom im Gas so groß, dass das elektrische Feld zwischen Draht und Gehäuse zusammenbricht. Dieser Spannungsabfall wurde in 1928 mit einem geeigneten Fadenelektrometer registriert. Ein durch radioaktive Strahlung ausgelöstes Elektron verursachte so die Auslenkung des empfindlichen Fadenelektrometers. Auf Grund dieses Wirkungszusammenhanges wurde das neue Instrument zunächst Elektronenzählrohr getauft. Moderne Zählrohre haben ein zusätzliches Glimmerfenster, damit auch alpha-Teilchen ins Innere des Gehäuses gelangen können.
Das Zählrohr wurde im Frühjahr 1928 von Walter Müller in Kiel entwickelt als er Assistent seines vormaligen Doktorvaters Hans Geiger war. Müller hat seine Promotion Ende Februar 1928 abgeschlossen. Bereits Anfang Mai des selben Jahres kann man eine erste Skizze des Zählrohrprototypen in einem von Müllers Laborbüchern finden. Hieraus lässt sich ableiten, dass Müller lediglich zwei Monate benötigte um das neue Instrument zu konstruieren. Um herauszufinden, was nötig ist, um ein funktionsfähiges Zählrohr zu bauen und welche Details und Konstruktionsparameter bedacht werden müssen, kann man die Replikationsmethode nutzen. Während man mit Hilfe aller zur Verfügung stehenden Primärquellen, also Müllers Laborbücher und den fünf Veröffentlichungen zum Zählrohr, einen Nachbau des Zählrohrs anfertigt, muss man diverse Schwierigkeiten erkennen und überwinden. Darunter fallen zum Beispiel in den Quellen nicht ausreichend dokumentierte Angaben zur Konstruktion. Dieses Wiederentdecken des impliziten, im Zählrohr manifestierten Wissens ist eines der Hauptziele eines Analyse mit der Replikationsmethode. Im Fall des Geiger-Müller Zählrohrs wurde schnell klar, dass Müller nicht nur ein Zählrohr gebaut hatte, sondern etwa 100 Stück, die sich ihrer Größe, ihrem Material, ihrer Form und ihrem Zweck alle unterschieden haben. Es gibt mindestens drei verschiedene Generation an frühen Zählrohren, die den Entwicklungsprozess vom Prototypen hin zu einem elaborierten und verlässlichen Messinstrument widerspiegeln.
Jedoch ist der Prozess des quellengetreuen Nachbaus keineswegs eine einfache Aufgabe. Man muss eine Vielzahl von Details beachten, von denen die meisten auf nur einer einzigen Seite in Müllers Laborbuch dokumentiert wurden. Müller notierte hier die Größe des Zählrohrs, die anzulegende Spannung, einen Hinweis auf eine spezielle Säurebehandlung des Drahtes und den Wert des notwendigen Unterdrucks im Zählrohr. Aber was hat Müller unternommen bzw. welches Gerät hat er genutzt, um den Unterdruck herzustellen? Eine zweite Frage könnte lauten, wie er die konstante Hochspannung erzeugt hat; eine dritte Frage: Wie hat er das Vakuum im Gehäuse hergestellt? Um nicht nur diese Probleme zu lösen habe ich etwa 15 verschiedene Nachbauten der drei erwähnten Zählrohrgenerationen konstruiert. Ein Nachbauprozess wurde auf Video aufgenommen und ist auf YouTube verfügbar (https://www.youtube.com/watch?v=UZzVB1TIle0).
Beim Nachbau habe ich versucht so nah wie möglich an den Textquellen zu bleiben. Dies war jedoch nicht bei allen Details möglich. So konnte ich beispielsweise keine zeitgenössischen handwerklichen Werkzeuge und die damals üblichen elektrischen Peripheriegeräte nutzen. Letztere habe ich zum Beispiel nach intensiven technischen Überprüfungen hinsichtlich der Angemessenheit durch eine moderne Hochspannungsquelle und ein Oszilloskop ersetzt. Trotz dieser angenommen, hohen Präzision im Quellenstudium war der Bau und der Betrieb der Zählrohr-Nachbauten keine einfache Aufgabe. Auf Grund von mehreren, zunächst nicht erklärbaren Rückschlägen musste ich die anfängliche Analyse auf weitere Primär- und Sekundärliteratur anderer Wissenschaftler ausweiten, um vielleicht dort Hinweise für meine Arbeit zu finden. Dabei wurde klar, dass Geiger und Müller versucht haben Details ihrer Arbeit mit den Zählrohren gegenüber Dritten geheim zu halten. Fast niemand außerhalb Kiels war dazu in der Lage ein funktionsfähiges Zählrohr zu bauen oder gar Messungen damit durchzuführen. Nur wenige befreundete Wissenschaftler aus Geigers Umfeld haben ein Zählrohr von Geiger bekommen oder haben ihre Assistenten nach Kiel geschickt, um mit den Zählrohren vor Ort zu arbeiten. Die Probleme beim Betrieb der Zählrohre und die Besuche von Dritten in Geigers Institut zeigen jedoch, dass ein großes Interesse am Umgang mit dem Zählrohr bestand und dass ein erfolgreicher Umgang zum größten Teil von praktischen Fertigkeiten und ‚stillem’ Wissen abhängig war, dass man nicht in Form von Briefen, wissenschaftlichen Artikeln oder Büchern erlernen konnte.
Die wissenschaftshistorische Analyse des Zählrohrs mit der Replikationsmethode hat einerseits zu einem funktionstüchtigem, quellengetreuen Nachbau des Zählrohrs geführt und andererseits zu einem tieferen Verständnis der Entwicklung des Zählrohrs hinsichtlich technischen Verbesserungen, der sozialen Struktur in Geigers Labor und den Wissenstransfer gegenüber Dritten geführt. Geigers Weitergabe von Informationen über das Zählrohr war außerhalb seines Instituts in Kiel höchst selektiv. Die hierarchische Struktur im Kieler Laboratorium und die Teamarbeit von Geigers Mitarbeitern war dabei offensichtlich von Geigers Zeit bei Rutherford in Manchester inspiriert. Geiger war von 1906 bis 1912 Rutherfords Assistent, während Müller Geigers Assistent on den Jahren 1928/29 war. Obwohl Müller eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des Zählrohr gespielt hat, schrieb Geiger alle Artikel über das Zählrohr alleine. Müller ist lediglich als Co-Autor in den Artikel aufgetaucht, ähnlich wie Geiger in den gemeinsamen Publikationen mit Rutherford. Müller war jedoch nicht einverstanden mit dieser – seiner Ansicht nach – altbackenen Rollenverteilung. In zahlreichen Briefen, die Müller seinen Eltern während seiner Zeit bei Geiger schrieb, hat er seine Eindrücke sehr deutlich und emotional in Worte gefasst. Müller kündigte schließlich nach 16 Monaten sein Arbeitsverhältnis mit Geiger auf und wechselte als Physiker in die Industrie. Geiger akzeptierte einen Ruf als ordentlicher Professor für Experimentalphysik der Universität Tübingen zum Oktober 1929. Zwar bot er Müller eine Übernahme an, doch nur für 30 Reichsmark zusätzlichem Gehalt.
Das Geiger-Müller Zählrohr ist heutzutage quasi eine wissenschaftliche Metapher und sowohl ein Sinnbild als auch ein Instrument für den Strahlenschutz. Darüber hinaus spielt es immer noch eine zentrale Rolle in deutschen Schulbüchern, im Physikunterricht und im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft.
Einzelarbeiten im Projekt
- Michael Zgorzelski: "Vorstellungen über Radioaktivität unter Studierenden der Universität Flensburg" (in Arbeit, 2013, Masterthesis)
Im März 2011 ereignete sich in Fukushima ein Reaktorunglück. In Folge dessen, rückte der naturwissenschaftliche Themenbereich um "Radioaktivität" wieder stark in eine breite Öffentlichkeit. In Deutschland wurden und werden (energie-)politische Konsequenzen gezogen. Nahezu alle Medien berichteten entsprechend über einen längeren Zeitraum. Welche Vorstellungen existieren über Radioaktivität, circa zwei Jahre nachdem ein naturwissenschaftlicher Inhalt eine derart breite Öffentlichkeit erfahren hat. Eine aktuelle Umfrage unter Studierenden der Universität Flensburg soll einige derzeitig bestehende Vorstellungen aufzeigen.
- Ulrike Proske: "Kernkraft an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen" (abgeschlossen, 2012, Bachelorthesis)
Im Zuge der Gründung von Gemeinschaftsschulen werden in Zukunft immer mehr Schüler/innen mit dem Förderschwerpunkt Lernen und ohne Förderschwerpunkt in einem Klassenverband unterrichtet. Vor allem im Fachunterricht entstehen dadurch neue Herausforderungen an die Lehrer/innen. Die meist für eine Regelschule ausgebildeten Lehrkräfte sind gefordert, den heterogenen Leistungsansprüchen gerecht zu werden. Da der stoffliche Anspruch mit den Klassenstufen wächst, ist auch dahingehend eine schwierigere Differenzierung zu erwarten. Eine Bestandsanalyse der in den Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen erarbeiteten Vorgehensweisen der Vermittlung von Fachinhalten könnte Denkanstöße für einen differenzierten, gemeinsamen Fachunterricht liefern. Daher habe ich in meiner Bachelor Arbeit untersucht, wie die Kernkraft an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen vermittelt wird. Ich habe Interviews mit den Fachlehrern mehrerer Einrichtungen geführt, um einen Überblick zu bekommen, wie tiefgründig und unter welchen Schwerpunkten das Thema im Unterricht behandelt wird und dann mit Hilfe einer Item-Analyse ausgewertet.
- Michael Zgorzelski: "Schülervorstellungen zum Thema Radioaktivität - Eine qualitative Untersuchung von Schülervorstellungen über Radioaktivität" (abgeschlossen, 2011, Bachelorthesis)
Der Begriff "Radioaktivität" ist in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens ein Dauerbrenner und fällt in verschiedenen Zusammenhängen. Die durch diesen Begriff ausgelösten Assoziationen können jedoch ebenso verschieden sein. Wie und woran denken Schüler, wenn die Radioaktivität thematisiert wird? Eine qualitative Befragung soll Einblicke in gegenwärtige Schülervorstellungen gewähren.
- Steffen Lehrke: "Darstellung der technischen Nutzung von Radioaktivität in deutschsprachigen Schulbüchern nach 1945" (abgeschlossen, 2011, Bachelorthesis)
Publikationen zum Projekt
Korff, Sebastian (2014): Wie das Knacken in den Geigerzähler kam. Wissenschaftshistorische Analyse und fachdidaktische Aspekte des Geiger-Müller-Zählrohres.
Flensburg, Flensburg University Press.
Korff, Sebastian (2013b): Beyond the Geiger-Müller Counter, in: Heering, P.; Klassen, S.; Metz, D.: Enabling Scientific Understanding through Historical Instruments and Experiments in Formal and Non-Formal Learning Environments. Flensburg, Flensburg University Press, 31-41.
Korff, Sebastian (2013a): How the Geiger Counter started to crackle: Electrical counting methods in early radioactvity research, in: Annalen der Physik (Berlin), 525, No. 6, A88-92.
Link: onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/andp.201300726/pdf
Korff, Sebastian (2012): Das Geiger-Müller-Zählrohr. Eine wissenschaftshistorische Analyse mit der Replikationsmethode, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin,20 (4), 271-308.
Korff, Sebastian (2011): Wie das Knacken in den Geiger-Zähler kam, in: Physik in unserer Zeit, 4/2011, S. 203f.
Link: onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/piuz.201190047/abstract