Thema "Blau"

Blau ist mehr als eine Farbe. Blau zeichnet sich durch vielschichtige und differente kulturelle Bedeutungen aus: Menschen sind blau, machen blau und haben manchmal sogar blaues Blut, sie fahren ins Blaue und einige erhalten blaue Briefe. Je nach künstlerischer Präferenz schätzen Menschen den blauen Reiter, die blaue Blume, oder "Drei Farben: Blau". Selbst der Blaue Engel ist mehrdeutig. Blau ist die Farbe Europas (aber auch anti-europäischer Bewegungen), blau steht in christlicher Malerei für die Mutter Gottes, in der Romantik für die Sehnsucht, und je nach Region für Hertha BSC, Schalke 04 oder den HSV.

Die Bedeutungskomplexität von blau ist nicht auf den deutschen Sprachgebrauch beschränkt: aus dem Englischen finden wir den Blues und die Blue Jeans; aus dem Französischen das Cordon bleu (in all seinen Bedeutungen).

Blau ist aber auch nur eine Farbe: Blau sind das Meer und der Himmel, blau blüht der Enzian und wir leben auf dem Blauen Planeten. Naturwissenschaftlich gesehen wird Licht als blau bezeichnet, dessen Wellenlänge im Intervall 460 und 480 Nanometer liegt.

Die 6. Reihe der Flensburger Ringvorlesung beschäftigt sich mit den vielfältigen Perspektiven und Bedeutungszuschreibungen, die der Begriff "blau"  in verschiedenen Zusammenhängen und Kontexten hat. Forschende der Europa-Universität Flensburg werden diesen aus der Sicht ihrer jeweiligen Fachdisziplin im Frühjahr 2018 darstellen, diskutieren und dekonstruieren.

Das Programm

Termin

Vortragende*r

Titel

12.3.

Dr. Marcello Neri,
Seminar für katholische Theologie

Blauer Brief an Gott …

Mit dem Anfang des XIX. Jahrhunderts entsteht das poetische Bewusstsein (Hölderlin), dass eine ganze symbolische Ordnung, welche der Bedeutungszuschreibung von "Blau" in Kunst und Volkskultur auf Gott bzw. das Göttliche zugrunde liegt, zu ihrem Ende gekommen war. Es ist über zwei hundert Jahre, dass menschliches Dasein und gesellschaftliches Leben im Westen wie ein blauer Brief an Gott sind, auf den er überhaupt nicht zu reagieren scheint.

In Zeiten solch einer Verabschiedung Gottes muss sich der Glaube an irgendwelchen Gott auf der Suche nach einer neuen Sprache machen, die gerade aus dem Fehlen Gottes entsteht. Auch diese tastende, fragile Sprache des Glaubens kann als blauer Brief an Gott verstanden werden. Es ist vielleicht das erste Mal, dass es so etwas in der religiösen Tradition des Westens passiert.

Exemplarisch dafür steht das Büchlein "Jossel Rakovers Wendung zu Gott" – ein fiktiver Brief aus dem jüdischen Getto von Warschau geschrieben am 28. April 1943, der zugleich an Gott und an die ganze Menschheit adressiert ist. Den letzten Zeilen dieses Briefs gilt es, das Wort zu überlassen: "Gott Israels ich bin hierher geflohen, dass ich Dich ungestört dienen kann: um Deine Gebote zu tun und Deinen Namen zu heiligen. Du aber tust alles, dass ich nicht an Dich glauben soll. (…) Magst Du mich auch beleidigen, magst Du mich auch züchtigen, magst Du mir auch wegnehmen das Teuerste und Beste, das ich habe auf der Welt, und mich zu Tode peinigen – ich werde immer an Dich glauben – Dir selbst zum Trotz!" (Z. Kolitz, Jossel Rakovers Wendung zu Gott, Diogenes, S. 99)

26.3.

Prof. Dr. Birgit Peuker,
Abteilung Ernährung und Verbraucherbildung

Karpfen BLAU  oder 3-D-Food-Print?  Schleswig Holsteiner Esskultur zwischen Tradition und Moderne

Morgens personalisiertes Food aus dem 3-D-Drucker und abends Holsteiner Karpfen BLAU? Sieht so die zukünftige Esskultur Schleswig-Holsteins aus? Das Verbraucherverhalten scheint zwischen dem herrschenden Überangebot des Marktes und der persönlichen Suche nach Livestyle unter Alltagspassung  unberechenbar geworden. Welches Prinzip dahinter steht, dass die Verbraucherin/der Verbraucher wie  "Broken sööt" nicht einem Typus zugeordnet werden kann, wird in dem Vortrag mit dem eigens entwickelten Modell des eklektischen Verbraucherverhaltens erklärt und Auswirkungen aufgezeigt.

09.4.

Dr. Michaela Christ,
Norbert Elias Center for Transformation Design & Research

Nie wieder dunkelblau? Der Verlust der Nacht durch künstliche Beleuchtung.

Künstliches Licht hat in den vergangenen rund 100 Jahren das Leben in modernen Gesellschaften fundamental verändert. Die Möglichkeit, die Nacht zum Tag zu machen, hat erheblichen Einfluss auf gesellschaftlichen Rhythmen und Zeitstrukturen. Zum ersten Mal in der Geschichte ist es Menschen zumindest theoretisch möglich, ihr Leben weitgehend unabhängig von natürlichen Rhythmen wie dem Tag-Nacht-Wechsel zu gestalten. Inzwischen sind beispielsweise inzwischen fast 20 Prozent der europäischen erwerbstätigen Bevölkerung in Nacht- und Schichtarbeit tätig.  Seit einiger Zeit werden die Folgen der stetig heller werdenden Nächte unter dem Stichwort Lichtverschmutzung thematisiert. Zunehmende nächtliche Himmelhelligkeit erschwert nicht nur die Arbeit von Astronomen, die ihre Teleskope an immer abgelegeneren Orten aufstellen müssen. Auch an Tieren, Pflanzen und ganzen Ökosystem sowie an der menschlichen Gesundheit geht Lichtsmog nicht spurlos vorüber.

Der Vortrag skizziert in historischer Perspektive die dynamische Entwicklung künstlicher Beleuchtung seit Ende des 19. Jahrhunderts und diskutiert einige der Auswirkungen künstlichen Lichts auf Individuen und Gesellschaft.

23.4.

Prof. Dr. Krešimir Matijević,   
Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik

Blau vor! Wagenrennen in der Antike und in "Ben-Hur"

Die Farbe Blau symbolisierte in der Antike das Meer und den Herbst. Blau war aber auch eine der vier Farben, welche die antiken Wagenrennteams charakterisierten. Im Vortrag werden die Wagenrennen im römischen Circus thematisiert. Zum einen interessiert hierbei der tatsächliche Ablauf solcher Wettkämpfe in der Antike, zum anderen die heutige Vorstellung hiervon in den Köpfen der Menschen. Es wird gezeigt werden, dass der Roman "Ben-Hur" und die verschiedenen Verfilmungen großen Einfluss ausgeübt haben. Dies gilt auch für das heutige Bild von Sklaven auf römischen Seekriegsschiffen, womit im Vortrag ein zweites Element der Farbe Blau in der Antike aufgegriffen wird.

14.5.

Dr. Markus Herschbach,
Abteilung Kunst und visuelle Medien

Das Licht und das Blau in der Kunst & in den visuellen Medien

Eine kultur- und kunstgeschichtliche Zeitreise und ein Ausflug ins Blaue in drei Etappen.

1. Etappe: Wunderkammern der Bedeutungen

Wie und woher kam das Blau in die Kunst? und

Waren die Griechen und Römer "blaublind"?

Warum hat das frühe Mittelalter das Blau kaum beachtet hat und warum das Blau hier nicht ohne Rot gedacht werden kann?

Welche blauen Farbstoffe wurden in der Kunst verwandt, welche kulturellen und symbolischen Bedeutungen wurden und werden den "Blaus" zugeschrieben?

2. Etappe: Lichter und Farben

Verschwinden die Farben im Dunkeln oder kann man sie einfach nicht mehr sehen? Kann man die Farbe Blau in einem anderen Licht betrachten und was passiert dann?

Warum die Gegenstände keine Farben haben und warum Blau auch im Hellen grau sein kann und was haben diese Beobachtungen mit den Impressionisten zu tun?

3. Etappe: Blaue Kunst

Wie wird Blau zu zeitgenösischer Kunst?

Warum die Kunst sowohl das Schwarze braucht als auch das Licht.

Zwei schwarze "Quadrate" (Robert Fludd (1652) und Malewitsch (1930)

Das Licht bei James Turell, das Indigo bei Anish Kapoor und ein patentiertes Blau bei Yves Klein - Transformationen im Räumen.

Etappenweise werden Fragen wie diese in einem bildreichen Vortrag angesprochen, diskutiert  und beantwortet.

28.5.

Prof. Dr. Christian Filk,
Seminar für Medienbildung

"Blue Sky & Open Cloud" – Wie soziale Medien unsere Welt berechnen?!

"Ich poste (in sozialen Medien), also bin ich!" – So oder so ähnlich könnte ein moderner Existenzbeweis des Menschen lauten. Im vorgängigen digitalen Gesellschaftsumbruch werden ehemals vermeintliche und/ oder tatsächliche Grenzziehungen hinfällig. Das "Reale" wird "virtuell" und das "Virtuelle" wird "real". Und die Unterschiede zwischen Mensch, Maschine und Natur drohen zu verschwinden.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befinden wir uns inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses von der überkommenen Industrie- hin zur heraufziehenden Netzwerkgesellschaft. Die Menschen agieren hier nicht mehr allein als Konsumentinnen und Konsumenten, sondern vielmehr auch als Produzentinnen und Produzenten von Medieninhalten und Gesprächsbeiträgen, die vielfach (mit-)geteilt werden (Sharing). Mithin avancieren sie zu sogenannten "Prosumentinnen" und "Prosumenten" (Wortneuschöpfung aus "Produktion" und "Konsumtion") mit eigenen Medienkulturen.

In einer kritischen dialektischen Reflexion auf die Transformationsprozesse zur digitalen, wissensbasierten Netzwerkgesellschaft haben wir nicht nur die Chancen und Potenziale zu würdigen, sondern wir haben uns auch offensiv den Risiken und Hemmnisse zu stellen. Eingedenk dessen ist mit ins Kalkül zu ziehen, dass die nachindustrielle Gesellschaft, so der französische Philosoph Jean-François Lyotard, durch zwei wesentliche Charakteristika gekennzeichnet ist: "Aufschwung der Techniken und Technologien" und die "Wiederentfaltung des liberalen [...] Kapitalismus".

Digitale Medien sind Kultur- und Lerntechniken. Die Strukturen und Prozesse der Netzwerkgesellschaft werden in erster Linie durch Bildung und Wissen sowie mediale und soziale Teilhabe ermöglicht. Die Ablösung des Konzepts der Industriegesellschaft wandelt nachhaltig die seit Jahrzehnten eingeführten Verfahren der Schaffung und Verarbeitung von Wissen sowie der verinnerlichten Formen der Wissensvermittlung und -aneignung.

Mithin sind digitale Medien Techniken des Selbst und der Subjektivierung. Mit Blick auf die Standardisierung von Individualität lässt sich mit dem Soziologen Ulrich Beck feststellen: "Eben die Medien, die eine Individualisierung bewirken, bewirken auch eine Standardisierung. [...] Die entstehenden Individuallagen sind durch und durch (arbeits[-]) marktabhängig."

Schließlich sind digitale Medien Macht- und Kontrolltechniken. "Der neoliberale Imperativ zur Selbstoptimierung dient allein einem perfekten Funktionieren im System", folgert der Philosoph Byung-Chul Han. Eine stillschweigende technizistische oder ökonomistische Vereinnahmung der Nutzerinnen und Nutzer per Mausklick widerspricht dem Leitbild einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, die de facto ein Multioptionsversprechen für alle Menschen suggeriert.

Es gilt folglich, die technische und ökonomische Konvergenz mit der sozialen und kulturellen Transformation dieser Gesellschaft zu vermitteln. Was bedeutet der Zusammenhang? Fallen wir als Userinnen und User der subtilen expansiven Struktur- und Vertriebslogik großer internationaler Teck-Firmen hoffnungslos anheim? Oder können wir getrost in Freiheit und Selbstverantwortung auf die "Potentiale komplexer medialer Architekturen im Hinblick auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse" (Benjamin Jörissen) setzen?

11.6.

Dr. Sibylle Machat,
Seminar für Anglistik & Amerikanistik

Das "kleine blasse blaue Raumschiff" – Fotografien des Planeten Erde und ihre metaphorischen Ausdeutungen

Jede*r von Ihnen kennt wahrscheinlich das Foto, das von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA 1968 unter dem Titel "AS08-14-2383" veröffentlicht wurde – nur kennen Sie es unter einem ganz anderen Namen: als "Erdaufgang / Earthrise". Diese Betitelung geht jedoch nicht auf die Apollo 8 Astronauten (von diesem Flug zum Mond stammt die Aufnahme) oder auf die NASA selbst zurück, sondern wurde dem Foto im Zuge seines Abdrucks in Zeitungen und Zeitschriften zugeschrieben.

In diesem Vortrag erfahren Sie nicht nur etwas über die Geschichte der Fotografie des Planeten Erde (angefangen mit einem Foto aus dem Jahr 1932), sondern auch über Zuschreibungen und Ausdeutungen mit denen diese Fotos über die Jahre angereichert wurden. Wir sprechen über die Verwendung und Bedeutung von Erdfotografien für die und in der Umweltbewegung, über Ballonfahrer, V2-Raketen, den ersten Wettersatelliten, über Astronauten die Fotos zur Erde twittern, über den Live-Stream von der Internationalen Raumstation (24/7), über Carl Sagans "blassen blauen Punkt" im All – und natürlich über einige ikonischen Fotografien der Apollo-Missionen – die "blaue Murmel" und eben jenen "Erdaufgang".

Das Poster