Ringvorlesung Wintersemester 2015/16 - Grenzziehungen
Im 21. Jahrhundert werden Grenzen verschoben oder überwunden, durchlässiger oder lösen sich gleich ganz auf. Menschen vollbringen im Sport grenzverschiebende Leistungen, Forschende sammeln Daten im Nanomaßstab oder in astronomischen Entfernungen, die bis vor kurzem noch als unzugänglich galten, politische Grenzen werden in Frage gestellt, Kommunikation wird grenzenlos, Bildungsgrenzen werden aufgelöst – so oder so ähnlich zumindest die Verheißungen vieler Akteurinnen und Akteure. Aber: Trotz der damit verbundenen Problematiken sind Grenzziehungen nicht nur eine notwendige Grundvoraussetzung für alle Erkenntnis und Wissenschaft, sondern auch eine elementare Bedingung des alltäglichen Lebens. Die Vortragenden der Ringvorlesung werden sich dieser Fragestellung aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive, aber auch über die Fachgrenzen hinausschauend annehmen.
Programm
Das confinium von 804 n. Chr. zwischen Eider und Danewerk. Ein Grenzbezirk von 1200 Jahren Wirksamkeit.
Dr. Anke Feiler-Kramer, promovierte Archäologin und an der Europa-Universität Flensburg Geschäftsführerin für Präsidium, Senat und Hochschulrat
In den Fränkischen Reichsannalen wird im Bericht für das Jahr 804 n.Chr. ein "confinium", ein Grenzbezirk zwischen der Eider und dem Danewerk genannt. Dort befinde sich der Ort "Sliesthorp" (Hedeby). Im Jahre 811 war es dann zu einem Friedensabkommen zwischen dem Reich der "Dani" und dem Fränkischen Reich gekommen. Dabei wurde die Eider als Grenze festgelegt. Ort und Abläufe dieses Friedensschlusses lassen sich rekonstruieren. Eidergrenze, Confinium und Danewerk bildeten für die Folgezeit eine strategische Einheit.
Während die Datierungen des Danewerks und seine Bauweisen im Fokus der Forschung standen und der Öffentlichkeit mehr oder weniger bekannt sind, gibt es so gut wie keine Untersuchungen zur Funktion. Die Vortragende schließt diese Lücke, u.a. mit Hilfe von 3d-Grafiken.
Die Eidergrenze hatte vom späten Mittelalter an bis 1864 als Grenze zwischen den Herzogtümern Schleswig und Holstein Bestand. Heute bilden Eider und das ehemalige Confinium die Grenze des skandinavischen Großraums.
Die gegenwärtige Rezeption und Darstellung der "Wikinger" und von "Haithabu" werden kritisch untersucht.
Mathematische Grenzen
Prof. Dr. Uwe Leck, Abteilung für Mathematik und ihre Didaktik
Aus der Unterhaltungsmathematik ist allgemein bekannt, dass es unter sechs Personen immer drei gibt, die sich gegenseitig kennen, oder drei, die sich gegenseitig nicht kennen. Bei nur fünf Personen ist das nicht unbedingt der Fall. Um allgemeinere Aussagen dieser Art wird es im Vortrag gehen: Bestimmte Regelmäßigkeiten sind in einer (kombinatorischen) Struktur unvermeidlich, wenn diese nur groß genug ist. Was "groß genug" dabei bedeutet, ist meistens eine sehr schwierige Frage.
Grenzen des Denkens?
Prof. Dr. Heiner Dunckel, Internationales Institut für Management und ökonomische Bildung
Unser Gehirn besteht je nach Schätzung aus 15 bis 100 Milliarden oder sogar noch mehr Nervenzellen, zwischen denen mehr als 100 Billionen Verbindungen bestehen. Unser Gehirn scheint nahezu grenzenlos. Gedächtnis- und Rechenkünstler erstaunen uns mit erstaunlichen Leistungen; Menschen mit Inselbegabungen (so genannte Savants) beherrschen 20 und mehr Sprachen, können Tausende Bücher auswendig oder spielen Klavierstücke nach, die sie nur einmal gehört haben. Gleichzeitig machen wir ständig Denkfehler, vergessen Telefonnummern, können uns einfachste Dinge nicht merken. Ist das Denken nun grenzenlos oder begrenzt?
Grenzen in der Visual History des 20. Jahrhunderts...
Prof. Dr. Gerhard Paul. Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik
Geografische und politische Grenzen sind in erster Linie Konstruktionen in unserem Kopf. Damit sie funktionieren, brauchen sie Bilder. Der Vortrag des Flensburger Bildhistorikers Prof. Dr. Gerhard Paul untersucht anhand der Grenzen der jüngeren deutschen Geschichte, wie diese Bilder gebaut sind, wie sie funktionieren und wie sie sich wandeln. Eine seiner Thesen ist, dass die deutsch-deutsche Grenze, wie sie von 1949 bis 1989/90 Bestand hatte, als Bild in den Köpfen der Deutschen-West schon lange vorhanden war, bevor sie Ulbricht schließlich bauen ließ.