Aktuelle Forschungsprojekte
Modernes Nordfriesisch – Eine Untersuchung zur Diskrepanz zwischen Sprachnorm und Sprachgebrauch
Ein häufig diskutiertes Thema in der Minderheitensprachenlinguistik sind Auswirkungen des Sprachkontakts mit der Mehrheitssprache. Dieser Kontakt wirkt sich, vor allem in der Minderheitensprache, zumeist durch eine Veränderung des Sprachsystems aus. Neuere Sprachkontakterscheinungen finden allerdings selten Eingang in kodifizierende Sprachbeschreibungen, da eine Normabweichung in den meisten Fällen negativ bewertet wird. Aus diesem Grund erwecken sprachliche Merkmale und Konstruktionen, die nicht im Kodex zu finden sind, den Anschein, nicht im Sprachgebrauch vorhanden zu sein, obwohl diese dort zum Teil schon fest etabliert sind.
Ziel der Dissertation von Meike Ohlsen ist es, die Diskrepanz zwischen dem, was im nordfriesischen Kodex als Norm dargestellt wird, und dem, was sich im sprachlichen Gebrauch tatsächlich belegen lässt, aufzuzeigen. Dazu werden aktuelle Sprachdachten des Nordfriesischen aus rund 50 Interviews erhoben. Außerdem wird diskutiert, wie Sprachkontaktphänomene von unterschiedlichen Interessengruppen wahrgenommen werden und welche Auswirkungen dies auf den Sprachgebrauch haben kann. Ein solcher Korpus stellt darüber hinaus aktuelle Sprachdaten für linguistische Beschreibungen des Nordfriesischen bereit, die bisher fehlten.
Sichtbarmachung historischer Mehrsprachigkeit in regionalen Alltagssprachen: Sprachideologie, Sprachpolitik und Sprachpraktiken
Visibilizing Normative Regional Historical Multilingualism (ViNoRHM): Ideology, Policy, and Practice
Das ViNoRHM-Projekt kombiniert Fallstudien auf Mikroebene zu Sprachideologie, -politik und -praxis unter Verwendung von Primärtexten aus offiziellen Aufzeichnungen und bisher wenig untersuchten Archivalien, um zu einer Darstellung der Machtdynamiken zu gelangen, die möglichst kohärenter und innovativer ist, als dies bisher versucht wurde.
ViNoRHM setzt einen neuen Standard für Sprachgeschichtsschreibungen durch die drei Dimensionen dieses Projekts: Sprachideologie, Sprachpolitik und Sprachpraktiken. Indem die Sprachpraktiken von Einzelpersonen und Gemeinschaften die Grundlage von ViNoRHM bilden, werden sowohl zuvor unsichtbare oder unsichtbar gemachte Sprachen als auch Einzelpersonen (insbesondere Frauen und Un-/weniger Gebildete) in den Vordergrund gerückt.
- Projektleitung: Dr. Samantha M. Litty
- Finanzierung: DFG
- Laufzeit: 20.01.2023-19.01.2026
- Projektseite
- Mitarbeiter: Jan Momme Penning (2023), Andre Hermann (2023- )
Historische Mehrsprachigkeit im 19. Jh. – das Ranzelberger Gästebuch
Das Gästebuch aus dem legendären Ochsenwegkrug "Petersburg", der einst zwischen Husum und Tondern auf dem Ranzelberg im heutigen Langenberger Forst lag, befindet sich seit 2018 im Archiv des Nordfriisk Instituuts (NFI) in Bredstedt. In einem Kooperationsprojekt mit der EUF, das durch die Stiftung für die Friesische Volksgruppe im Lande Schleswig-Holstein (Friesenstiftung/Friisk Stifting) gefördert wird, wird das Dokument jetzt wissenschaftlich transkribiert, unterstützt durch Forschungsgelder der Stiftung für die Friesische Volksgruppe im Lande Schleswig-Holstein (Friesenstiftung). Leiterin des Projekts ist Dr. Samantha Litty.
Zu Weihnachten 1834 hatten einige Seminaristen des Tonderner Lehrerseminars dem Wirt Peter Matthiesen das Gästebuch geschenkt. Generationen von Seminaristen, die sich selbst "Burschen" nannten – obwohl sie in Wahrheit keiner Burschenschaft angehörten –, verewigten sich in den darauffolgen Jahrzehnten in dem Buch und geben so auch heute noch Einblicke in ihr "Burschen"-Dasein von damals. Ob auf dem Weg zur Prüfung oder in die Ferien, ob heiter oder betrübt – oft bereicherten sie ihren Einträgen mit Liedern, Reimpaaren, Zitaten oder Trinksprüchen. Auch andere Durchreisende trugen sich in das Gästebuch ein. Oft handelte es sich dabei um Seeleute oder Viehhändler. Deren Eintragungen wurden von den Seminaristen nicht selten durchgestrichen, verbessert oder mit spitzer Feder kommentiert.
Bis 1888 kamen so mehr als 400 Seiten zusammen. Neben Einträgen auf Deutsch finden sich auch solche auf Dänisch und Friesisch, sowie lateinische, französische und niederdeutsche Einwürfe. Ziel des Projekts ist die Herausgabe einer wissenschaftlichen Textedition, die das Gästebuch in seinen historischen Entstehungszeitraum einbettet.
MitarbeiterInnen: Anna Sophie Blaue (2021-2022), Ilka Thomsen (2021-2023), Jan Momme Penning (2021-2024 ), Andre Hermann (2023- )
Friesische Identitätskonstrukte mit und ohne Sprache
Im östlichen Teil des historischen friesischen Siedlungsgebiet ist die friesische Sprache schon seit langer Zeit nahezu ausgestorben, mit Ausnahme des Saterlands. Zudem hat die territoriale Entwicklung im Laufe der Jahrhundert nicht nur die drei Frieslande voneinander getrennt, auch Ost-Friesland an sich war und ist politisch zersplittert. Die sprachliche und politische Kleinteiligkeit hatte bereits vor den nationalen und romantischen Geistesströmungen des 19. Jahrhunderts bei den Bewohnern dieses Landstrichs zu unterschiedlichen Identitätskonstrukten geführt. Sprache und (nationale?) Identität bilden jedoch traditionell ein eng miteinander verwobenes Paar. Allein schon vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass sich im alten ost-friesischen Siedlungsgebiet drei unterschiedliche Konfigurationen in Bezug auf Sprache und Identität gebildet haben: In den Groninger Ommelanden, die heute als Provinz Groningen zu den Niederlanden gehören, verschwand nach der friesischen Sprache schließlich auch die friesische Identität. Im abgelegenen Saterland erhielt sich die friesische Sprache bis heute, aber die Bevölkerung verlor ihre friesische Identität. Diese wurde erst in jüngster Zeit wiederbelebt. In den übrigen Gebieten verschwand die friesische Sprache, jedoch blieb - in unterschiedlichen Ausprägungen - eine (ost-)friesische Identität in der Bevölkerung verwurzelt. Temmo Bosse untersucht, wie sich diese Identitäten äußern, welche historischen und gegenwärtigen Bezugspunkte sie haben, wie sich die Ost-Friesen innerhalb der als Minderheit anerkannten friesischen Volksgruppe einfügen und nicht zuletzt, welche soziolinguistischen Auswirkungen diese Identitätskonstrukte auf den Sprachgebrauch in der Region haben.