Termine der Germanistik
Vortrag zu historischer Graphematik (Anja Voeste, Gießen)
Wer und was?
Am 1.12.2022 wird Anja Voeste, Professorin für germanistische Sprachwissenschaft in Gießen und Weltexpertin für historische Graphematik des Deutschen, einen Vortrag im Rahmen der Lehrveranstaltung von Nils Langer zur Sprachgeschichte des Frühneuhochdeutschen (wo sich immer die Frage stellt, warum man damals so komisch (= "variantenreich") Deutsch geschrieben hatte, während dieselbe Schreiber in ihren lateinischen Texte völlig langweilig (= "variationslos") schrieben) halten.
Wann und wo?
12.15 Uhr, Raum OSL 239
Jeder ist herzlich willkommen!
Graphematischer Wandel
Neben dem Segment gehören Wort, Silbe und Morphem zu den Grundeinheiten des deutschen Schriftsystems. Diese aus synchroner Sicht selbstverständlich erscheinende Tatsache ist jedoch eine Folge kontingenter Entwicklungen der Sprachgeschichte. Der Vortrag zeichnet in historischer Perspektive nach, wie sich die Grundeinheiten Wort, Silbe und Morphem im Kontext graphematischer Wandelprozesse herausbildeten, und spricht dabei auch externe Einflussfaktoren an, die die Durchsetzung innovativer Schreibungen begünstigten. Ein wesentlicher interner Faktor für die Entstehung neuer funktionaler Einheiten in der Schreibung war der Lautwandel, der in einer Alphabetschrift wie dem Deutschen zur Lockerung der Graphem-Phonem-Korrespondenzen führte. Der Lautwandel hinterließ historische Graphien, die silbisch refunktionalisiert werden konnten. Als externer Faktor ist dabei die aktive Rolle der Schreiber und später Setzer in diesen Wandelprozessen zu berücksichtigen. Die spätmittelalterliche Buch- und Handschriftenproduktion eröffnete den weiten Freiraum, der die innovative Bearbeitung geschriebener Wortformen erst ermöglichte. In der frühen Neuzeit standen dagegen Produktions- und schließlich Konsumenteninteressen im Vordergrund: Leserfreundliche und somit absatzsteigernde Mittel bestimmten die Arbeit der Setzer und führten zur Herausbildung unseres heutigen Schreibsystems.