Offizielle Pressemitteilungen der Europa-Universität Flensburg (EUF)

Schule, Sexualität und neue Medien

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Knapp 1,5 Millionen Euro für zwei Forschungsvorhaben unter Leitung der Europa-Universität Flensburg

An der Europa-Universität Flensburg (EUF) sind zwei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekte gestartet, die sich mit sexualisierter Gewalt in pädagogischen Kontexten beschäftigen. Beide Forschungsprojekte unter Leitung der EUF haben zum Ziel, auf der Basis empirischer Analysen dringend benötigtes Praxiswissen zu diesem Themenfeld zu erarbeiten, das perspektivisch in das Flensburger Lehramtsstudium integriert werden kann:

-          ViContact - Erstgespräche bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch – Professionalisierung von Lehramtsstudierenden durch Übung in virtuellen Szenen. (Leitung: Dr. Simone Pülschen, Sonderpädagogik)

-          SaferSexting - Sexuelle Grenzverletzungen mittels digitaler Medien an Schulen – ein Beitrag zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung (Leitung: Prof. Dr. Jürgen Budde, Erziehungswissenschaften)

ViContact

Es ist wahrscheinlich, dass Lehrkräfte Umgang mit Schülerinnen und Schülern haben, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Studien weisen darauf hin, dass Lehramtscurricula kaum Informationen zum Kinderschutz, v.a. im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch enthalten, hingegen viele Mythen und Fehlannahmen bei den Lehramtsstudierenden verankert sind. Vor allem diese Wissenslücken und falsche Annahmen führen dazu, dass sexuellem Missbrauch nicht professionell begegnet oder auf Vermutungen nicht reagiert wird und so die Aufdeckung von sexuellem Missbrauch auf lange Sicht verhindert wird.

Ziel von ViContact ist es, angehenden Lehrerinnen und Lehrern relevantes Wissen, vor allem aber Handlungsmöglichkeiten zu vermitteln, sodass sie nicht wegschauen, schweigen oder irreversible Schäden anrichten. Dazu wird ein Training konzipiert und umgesetzt, das unter Einsatz virtueller Realitäten (VR) Erstgespräche mit potentiellen Opfern sexueller Gewalt simuliert. Bisher werden virtuelle und gemischte Realitäten im deutschen Sprachraum bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern – anders als in den USA – kaum genutzt. Dabei bieten sie die Möglichkeit, Verhaltensweisen zu erproben, die im Schulalltag nicht häufig geübt werden können, aber zum Schutz des Kindeswohls im Ernstfall unaufgeregt und mit großer Handlungssicherheit gemeistert werden müssen.

An der Psychologischen Hochschule Berlin (Frau Prof. Dr. Renate Volbert) werden dazu realistische Situationen des Erstkontakts zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern identifiziert und "Drehbücher" erstellt. Diese Szenen werden an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (Prof. Dr. Jürgen Leo Müller) in virtuelle Szenarien umgesetzt, die dann im Lehrerinnen- und Lehrertraining an der Europa-Universität Flensburg zur Anwendung kommen.

Gelingt es, ein Ausbildungssetting für die Lehrerausbildung (hier mit Blick auf den Umgang mit Verdachtsmomenten und folgenden Gesprächen) zu entwickeln, eröffnen sich damit neue Möglichkeiten, handelndes Lernen im Lehramtsstudium zu verankern.

SaverSexting

Internet und digitale Medien stellen für Kinder und Jugendliche zunehmend wichtige soziale, partnerschaftliche und sexuelle Erfahrungsräume dar. Dennoch gibt es in Deutschland keine Studien, die sich mit sexualbezogener Mediennutzung an Schulensowie Sexting (dem Austausch persönlicher erotischer Darstellungen mittels digitaler Medien) und der nicht-konsensuellen Weiterleitung von sexuell expliziten bildlichen oder filmischen Darstellungen befassen. Studien zu sexualisierter Gewalt an Schulen blenden häufig digitale Medien aus. Studien zu sexualisierter Gewalt mittels digitaler Medien wiederum thematisieren selten pädagogische Kontexte. Diese Leerstelle begründet sich in einem doppelten Verblendungszusammenhang: Einerseits stehen immer noch viele Lehrkräfte digitalen Medien skeptisch gegenüber und andererseits sind Lehrkräfte auf die Aufgabe der Prävention und auf den Umgang mit sexueller Gewalt nicht gut vorbereitet.

An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt SaferSexting an. Dessen Ziel besteht darin, die Ausblendung von sexuellen Grenzverletzungen mittels digitaler Medien in pädagogischen Kontexten aufzubrechen, zu untersuchen, Lernmodule für die universitäre Ausbildung und die Fortbildung von Lehrenden an weiterführenden Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein zu erproben und mittelfristig zur bundesweiten Nutzung aufzubereiten.

In Flensburg werden in qualitativen Gruppendiskussionen die Orientierungen und Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern an weiterführenden Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein zu sexuellen Grenzverletzungen mittels digitaler Medien erfasst sowie – in Zusammenarbeit mit dem Verbundpartner Universitätsklinik Eppendorf, einem Praxisbeirat und jugendlichen Medienscouts – Lernmodelle entwickelt und als Piloten umgesetzt.

Wissenschaftsministerin Prien betont Bedeutung für die Lehramtsausbildung

Schleswig-Holsteins Wissenschaftsministerin Karin Prien betont die Bedeutung dieser beiden Projekte zu dem sensiblen Thema "Sexualisierte Gewalt in pädagogischen Kontexten" an der EUF: "Den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt zu verbessern, ist eine bedeutsame Aufgabe, die nur in Zusammenarbeit mit Schule gelingen kann, die nahezu alle Heranwachsenden durchlaufen. Das Thema deshalb bereits forschungsorientiert in die Lehramtsausbildung zu integrieren und Lehramtsstudieren zu befähigen, kompetent zu handeln, ist ein wichtiger und richtiger Schritt."

Beide Projekte sind am Zentrum für Bildungs-, Unterrichts-, Schul- und Sozialisationsforschung (ZeBUSS) angesiedelt und bringen ca. 460 000 Euro an die EUF.

Projektfakten

ViContact

Laufzeit: 01.04.2018 - 31.03.2021 Projektleitung: Dr. Simone Pülschen, Sonderpädagogische Psychologie

Das Projekt ist Teil eines Verbundvorhabens mit Prof. Dr. Renate Volbert (Psychologische Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Jürgen Leo Müller (Georg August Universität Göttingen). Das Gesamtfördervolumen beträgt 930.371,73. Die Fördersummen aus den einzelnen Teilprojekten:

  • Flensburg:          296.385,65€
  • Göttingen:          354.573,28€
  • Berlin:                  279.412,80€

SaverSexting

Laufzeit: 01.04.2018 - 31.03.2021 Projektleitung: Jürgen Budde, Professor  für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Theorie der Bildung, des Lehrens und Lernens.

Das Projekt ist Teil eines Verbundvorhabens mit Prof. Dr. Arne Dekker (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) und Prof. Dr. Maika Böhm (HochschuleMerseburg). Das Gesamtfördervolumen beträgt 415.479,34€. Die Fördersummen aus den einzelnen Teilprojekten

  • ·         Flensburg:          164.985,34€

    ·         Hamburg:           250.494€