Bericht zur Tagung "Genug.Stadt.Krisen."
Wie Suffizienz als sozial-ökologischer Schlüssel in Kommunen wirken kann
Im Mittelpunkt standen Perspektiven aus Wissenschaft und kommunaler Praxis, die sich mit Fragen einer nachhaltigen Bodenpolitik und Implikationen für eine suffizienzorientierte Stadtentwicklung auseinandersetzen.
Vor dem Hintergrund von Klimakrise, Ressourcenknappheit, zunehmendem Flächendruck und akuter Wohnungsnot wurde diskutiert, ob und wie entsprechende Zielkonflikte aufgelöst werden könnten und was es generell für eine zukunftsfähige Daseinsvorsorge und die Handlungsfähigkeit von Kommunen braucht. Die Veranstaltung bildete zugleich den Abschluss des mehrjährigen transdisziplinären Forschungsprojektes "Entwicklungschancen und -hemmnisse einer suffizienzorientierten Stadtentwicklung".
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Donnerstag, der 29.06.2023
Die Tagung war mit knapp über 100 Teilnehmenden ausgebucht und wurde durch ein Grußwort von Fabian Geyer, dem Oberbürgermeister der Stadt Flensburg, eröffnet.
Zum Auftakt stellte Claudia Takla Zehrfeld, Fachbereichsleiterin Stadtentwicklung und Klimaschutz der Stadt Flensburg, mit "Der Flensburger Weg" ihre Perspektive auf eine nachhaltige Siedlungsentwicklung in Flensburg vor.
Anschließend zeigte Dr. Michaela Christ, Leiterin des Norbert Elias Center for Transformation Design & Research (NEC) an der Europa-Universität Flensburg, mit ihrem Vortrag "Suffizienz statt Wachstum. Konturen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung" auf, welche Wachstumstrends und -logiken derzeit im Wohn- und Mobilitätssektor vorherrschen und was im Gegensatz dazu bereits heute gelungene Beispiele einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung sind und warum Suffizienz dabei entscheidend ist.
Im Panel "Nachhaltige Bodenpolitik – Zwischen Flächendruck und Wohnungsnot" zog Hilmar von Lojewski, Beigeordneter und Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr des Deutschen Städtetages, mit seinem Beitrag ""It’s the land, stupid!" – Zur Relevanz der Bodenfrage für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung" eine Bilanz der Bodenwende in deutschen Kommunen und erläuterte, was bisher auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen erreicht wurde und wo noch offene Baustellen bestehen.
Daran schloss sich der Beitrag von Henning Brüggemann, Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Flensburg, zum Thema "Flächendruck und kommunale Herausforderungen" an. Er skizzierte einerseits den realen Entwicklungsdruck der Stadt und den damit verbundenen Wachstumsdrang und problematisierte andererseits die Endlichkeit von Flächen und die damit einhergehenden haushaltspolitischen Herausforderungen.
Im Panel "Bodenpolitische Vergabeinstrumente nachhaltig ausrichten" sprach zunächst Prof. Dr. Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier (Umwelt-Campus Birkenfeld) zum Thema "Kommunale Erbbaurechte", und wie dieses bodenpolitische Steuerinstrument ausgestaltet werden sollte, um sowohl marktgerecht als auch sozial zu wirken. Dabei betonte er, dass sich kommunale Erbbaurechte in ihrer Ausgestaltung am Volleigentum orientieren müssten, um die Attraktivität dieses Instruments zu erhöhen.
David J. Petersen, Sozioökonom und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg, knüpfte mit seinem Beitrag "Das Erbbaurecht als Instrument nachhaltiger Stadtentwicklung" daran an, indem er die Nicht-Nachhaltigkeit der bisherigen Praxis sowie die Konflikte und Herausforderungen der aktuellen Ausrichtung aufzeigte. Er verwies auf die oft ungenutzten Potenziale zur Schaffung von mehr bezahlbarem und preisgünstigem Wohnraum, dem Flächensparen und zur Demokratisierung des Wohnens.
Johanna Carstensen, Stadtplanerin und Projektmitarbeiterin im Forschungsprojekt EHSS II bei der Stadt Flensburg, schloss das Panel mit einem Einblick in die konkrete Praxis von "Erbbaurecht und Konzeptvergabe im kommunalen Kontext". Sie zeigte auf, wie die Stadt Flensburg vorgegangen ist, um ein geeignetes Verfahren zu entwickeln und wie dieses u.a. im Reallabor Flensburg Hafen-Ost erprobt wird.
Abgerundet wurde dieser erster Tagungstag durch eine Podiumsdiskussion zum Thema "Weil es sich rechnet – Zur Ökonomie der Genügsamkeit". Moderiert durch Kathrin Fischer, Pressesprecherin der Europa-Universität Flensburg brachten vier Referent*innen ihre Expertise ein: Dorothea Heintze, Journalistin und ehrenamtliche Vorständin der Genossenschaft Gröninger Hof eG in Hamburg; Jan O. Schulz, Präsidiumsmitglied im Bund deutscher Architektinnen und Architekten und Geschäftsführer von BSP Architekten; Patrick Zimmermann, Projektmitarbeiter am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg in Berlin (ifeu) und Doktorand an der BTU Cottbus-Senftenberg; Dr. Gesa Matthes, Stadtplanung und Architektur, Leiterin Strategische Innovation bei der HafenCity Hamburg GmbH; sowie Dirk Gansefort, Fachreferent an der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen.
Diskutiert wurden u.a. das genossenschaftlich-organisierte (Um-)Bauen am Beispiel des Gröninger Hofs in Hamburg, gesundheitliche Vorteile suffizienzorientierter Quartiere und verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten für eine Architektur der Bescheidenheit sowie einer nachhaltigen Bestandsnutzung. In mehreren Fragerunden kam zudem auch das Publikum zu Wort.
Freitag, der 30.06.2023
Der zweite Tagungstag wurde mit dem Panel "Suffizienz in Planung und Praxis" eröffnet. Jonas Lage, Suffizienzforscher am Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg, beleuchtete in seinem Vortrag sozial-ökologische Probleme im Wohnungssektor aus einer Suffizienzperspektive und stellte ein Instrument der gerechten Umverteilung von Wohnraum vor: die Belegungsquote in Zürich. Mit dieser Maßnahme gelingt es dort, die Wohnfläche pro Kopf zu reduzieren und so zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum beizutragen. Zum Artikel: "Niemand redete von Umzugszwang…".
Der geplante Vortrag von Levke Mahrt, Transformationsforscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg, zum Thema "Suffizienz in Zahlen" fiel bedauerlicherweise kurzfristig aus.
Im nächsten Panel "Wir haben genug - Ressource Bestand" stellte Prof. Dr. Julia Siedle, Architektin, Professorin für Wohnungsbau, Quartiers- und Bestandsentwicklung an der Hochschule Biberach, mit ihrem Vortrag "Synergien für Flächensuffizienz - eine systemische Perspektive" das Forschungsprojekt "Obsolete Stadt" vor. Dort wurden Gebäude, Strukturen und Räume wie Tankstellen und Kaufhäuser identifiziert, die aufgrund von Transformationsdynamiken zunehmend obsolet werden. Diskutiert wurde, wie solche Bestandsgebäude und Flächen frühzeitig entwickelt und umgenutzt werden könnten.
Der Beitrag zur "Ressource Einfamilienhaus" von Prof. Dr.-Ing. Christina Simon-Philipp, Professorin für Städtebau und Stadtplanung, Leiterin des Zentrums für Nachhaltige Stadtentwicklung an der Hochschule für Technik Stuttgart, nahm sich des Themas der Eigenheime an. Unter Bezugnahme auf ihr Forschungsprojekt zeigte sie auf, wie Einfamilienhaussiedlungen im Bestand als Gemeinschaftsaufgabe so umgebaut werden könnten, dass ökologische und soziale Probleme wie Flächenversiegelung, Unternutzung und ein hoher Ressourcenverbrauch besser begegnet werden könnte. Zum Projekt: Leben vor der Stadt.
Zum Abschluss des Panels sprachen Judith Nurmann, Stadtplanerin und bodenpolitische Sprecherin von Architects for Future Deutschland e.V. (A4F) und Michael Wicke, Architekt/Dipl.-Ing. und Mitautor der MusterUMbauordnung von A4F und Sprecher für Bauen im Bestand, in einem gemeinsamen Vortrag über den "Klimagerechten Stadtumbau", zu beseitigende Hemmnisse und rechtliche Hürden. Sie forderten eine Bauwende inklusive einer guten Bodenpolitik, klimagerechte funktionsgemischte Quartiere und eine konsequente Mobilitätswende. Zum Abrissmoratorium und zur MusterUMbauordnung.
Das letzte Panel richtet mit "Zukunftsfähige Städte - Gemeinwohlorientierung - Transformationskonflikte" den Blick auf das Große und Ganze.
Sandra Wagner-Endres, Projektleiterin im Forschungsbereich Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), stellte in ihrem Vortrag "Gemeinwohl-, Donut- und Kreislaufwirtschaft" exemplarisch einige bekannte zukunftsfähige Wirtschaftskonzepte und deren Anwendung auf kommunaler Ebene vor.
Matthias Schäpers, Architekt, Stadtplaner und Senior Projektmanager bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), gab einen Einblick in das Konzept der "Klimapositiven Städte".
Den Abschluss bildete der Vortrag "Genügsamkeit: Ein notwendiges Transformationsziel und zugleich ein Schreckgespenst" von Dr. Margaret Haderer, Umwelt- und Raumsoziologin an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der Technischen Universität Wien. Sie warf die Frage auf, wie ein Wandel in Richtung Suffizienz in Anbetracht der gesellschaftlichen Spannungsfeldern politisch gestaltet werden kann.
Im Anschluss an die Vorträge gab es jeweils Raum für Fragen, Anregungen und Kommentare aus dem Publikum.
Wir danken allen Referent:innen und Teilnehmenden, dem Rathaus Flensburg und dem Catering-Team.
Organisator*innen: Michaela Christ, Levke Mahrt, David J. Petersen, Johanna Carstensen, Aurélie Marsano, Anh Hoang Phuong, Anne Klingenmeier, Simone Mohrhof-Arp, Henning Brüggemann und Claudia Takla Zehrfeld.
Veranstaltet vom Norbert Elias Center for Transformation Design & Research (NEC) der Europa-Universität Flensburg und der Stadt Flensburg. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) / FONA.