Teach Love

Die Sexuelle Bildung steht vor mehreren Herausforderungen, nur 20 % der LehrerInnen sagen aus, dass sie im Studium etwas über Sexuelle Bildung gelernt haben, nur 8 % haben sich mit dem Thema sexuelle Gewalt beschäftigt, die meisten fühlen sich mit dem Thema alleingelassen (Drinck & Voß, 2020, Wienholz, 2022). Qualitative Daten zeigen, dass es nicht nur an Aus- und Weiterbildung fehlt, sondern dass sich LehrerInnen in den normativ aufgeladenen Diskursen verunsichert und politisch riskiert fühlen. Als Konsequenz wird die sexuelle Bildung auf Hygiene, Gesundheit und Biologie reduziert oder ganz vermieden.

Kurzübersicht

Stichworte
Sexual- und Aufklärungsunterricht, Weiterbildung, Lehrerinnenbildung, Sexualität, Wohlbefinden, ganzheitliche Lehre, Spaß
Laufzeit
18.05.2021 - 31.05.2023
Institution der EUF
Abteilung Psychologie

Beschreibung

Ausgangslage

Gefühle & Liebe, Onlinedating & Porno-Konsum, Selbstliebe & Körperschema, Normen & Werte, der weibliche Körper und Beziehungen durch Schwangerschaft & Familiengründung, moderne Beziehungskonstellationen, kulturelle Vielfalt, LGTBQ+ & sexuelle Identität, physische und psychische Gesundheit, Sicherheit.

Dies sind nur einige Schlagworte, die zwar im öffentlichen, medialen Diskurs omnipräsent sind, die aber aus der Perspektive von SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern und auch der Politik im aktuellen Sexual- und Aufklärungsunterricht zu kurz kommen oder in Gänze unberücksichtigt bleiben. Die Sexuelle Bildung wird oftmals auf biologische Funktionen, Organe und Verhütungsmethoden beschränkt. Für Jugendliche wird eine darüber hinausgehende Aufklärung dann in der Konsequenz ausgelagert und mitunter durch sexuelle Medieninhalte und Peers ersetzt. Bis ins Erwachsenenalter bleiben dann viele Aspekte der Aufklärung aus, ein Fakt der mit großer Bedeutsamkeit für die eigene Entwicklung, Identität und möglichen Herausforderungen im Erwachsenenalter einhergeht:

"ich habe erst mit 25 und auf Youtube gelernt, dass mein Ausfluss nicht eklig, sondern normal ist, so viele Jahre, in denen ich mich geschämt habe, das würde ich den Mädchen so gerne ersparen" (LehrerIn aus Flensburg, 26).

Solche gesellschaftlichen Bedingungen sind dabei nicht nur individuell und im Einzelfall bedeutsam.

Jugendliche bekommen wenig Begleitung im Umgang mit sexuellen medialen Inhalten und aktuellen Kontexten wie Instagram und Onlinedating. Diese Inhalte werden dann ungefiltert und nicht kontextuiert konsumiert, es fehlt dann an Kompetenz im Umgang mit der Bedeutung (Döring, 2011, 2017).

Die Sexuelle Bildung steht vor mehreren Herausforderungen, nur 20 % der LehrerInnen sagen aus, dass sie im Studium etwas zur Sexuellen Bildung gelernt haben, nur 8 % haben sich mit dem Thema sexuelle Gewalt beschäftigt, die meisten fühlen sich mit dem Thema alleingelassen (Drinck & Voß, 2020, Wienholz, 2022) und die Lage wird unter den Bedingungen der Pandemie noch verschärft, im digitalen Unterrichtsformat berichten LehrerInnen, wird auf Sexualkunde gerne verzichtet und die Kommunikation erschwert sich bei intimen Themen noch. Während im öffentlichen und politischen Diskurs Diversität, Kulturalität, Sicherheit und psychische sowie physische Gesundheit in Bezug auf den Umgang mit der Sexualität immer mehr Aufmerksamkeit bekommen, ist das Thema in der LehrerInnenbildung und den Lehrplänen weder konkretisiert noch etabliert. Schulmaterial ist oftmals nicht zeitgemäß, besteht aus schemenhaft und grafisch reduziert gezeichnete Genitalien. Eine Darstellungsart, die bedeutsam scheint: "bei mir sieht das da unten aber ganz anders aus und bis ich auf Instagram so nen Account gefunden hatte, dachte ich, ich wäre ein Freak" (Lehramtsstudierende, Flensburg, 24 Jahre).

Lehrerinnen empfinden in diesem Kontext das Thema insgesamt als unangenehm, erleben es als schambehaftet, normativ aufgeladen und fühlen sich in der Konsequenz überfordert, vermeiden das Thema oder reduzieren es (notgedrungen) auf Funktionalität, Organe und Verhütung:

"Bei uns an der Schule macht das keiner gerne und dann auch nur in Bio kurz die Organe, Verhütung und Haken dran, es ist halt unangenehm, die Fragen der Schüler auch oft persönlich, ich denke, wir kommen da schnell an die Grenzen, es gibt ja auch keine Vorbereitung und ich als Mann hab auch Angst, dass ich was Falsches sage" (Lehrer, Gesamtschule in Schleswig-Holstein, 37 Jahre). Es reicht aber nicht, wenn Jugendliche Kondome bedienen können, aber nicht über Sexualität sprechen und Bedürfnisse äußern lernen, denn dann verhüten sie mitunter trotz der theoretischen Fertigkeiten nicht (profamilia Hamburg, 2021).

Herausforderungen scheinen dabei zum einen die Konfrontation mit der eigenen Sexualität und eigene Grenzen, und zum anderen adäquates Wissen sowie darauf aufbauende Kompetenz und konkrete Werkzeuge im Umgang mit dem Thema und dessen Vermittlung zu sein: "Was soll man da sagen, die kommen schon mit fragen, aber ich wiegele es auch ab, ich weiß auch nicht, was man sagen darf Herr Walter[1] hatten Sie denn schonmal einen Dreier? Tja, da weiß ich dann auch nicht weiter" (Lehrer, Gymnasium Flensburg, 41 Jahre).

Dabei gibt es bereits medial diskursive moderne Umgangsformen mit Sexualität  und natürlichen Körpern zum Beispiel im Rahmen der Bodypositivity Bewegungen. Dort wird mit den Themen und Herausforderungen proaktiv umgegangen und beispielsweise realitätsgetreue Bilder von Vulvas über Social Media verbreitet und Erfahrungen aus erster Person Perspektive geteilt (@thevulvagallery). Die Inhalte und Perspektiven solcher Bewegungen scheinen bisher aber noch nicht in die Schulen und Universitäten integriert zu werden.

Im Forschungsprojekt werden Schul- und Aufklärungsmaterialien analysiert, Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt, LehrerInnen, SchülerInnen, Lehramtsstudierende und Eltern interviewt, in Einzelinterviews und in Gruppendiskussionen, daneben gibt es Fragebogenstudien und Essays unterschiedlicher AkteurInnengruppen zum Verhältnis zum eigenen Körper, Genitalien und Sexualität.

Einige Ergebnisse und Einblicke in die Daten finden sich hier:

DOI: 10.1055/a-2011-2305

doi.org/10.17623/BZgA_SRH:forum_2022-2_beitrag_weiterbildung_teach_love

Teilnahmemöglichkeiten

Bei Interesse wenden Sie sich gerne an die Projektleitung Johanna L. Degen:  johanna.degen@uni-flensburg.de

Das Team

Projektleitung: Johanna L. Degen

Quellen

■     J. L. Degen, "Teach LOVE: Psychological Further Education on Sex Education and Relationship Competence in Digital Format.," Zeitschrift für Sexualforschung, vol. 1, no. 23, (in production), 2023.

■     J. L. Degen, Teach LOVE: Psychologische Weiterbildung mit Herz und Expertise.: BZgA Forum Sexualaufklärung. [Online]. Available:https://​forum.sexualaufklaerung.de​/​aktuelle-​ausgabe/

■     J. L. Degen, K. Bergmann, L. Geißler, and A. J. Jaszczuk, "Teach LOVE: Evaluation of the Participatory Research and Knowledgetransfer Project on Sex- and Relationship-Education for Teachers and Student Teachers," 2022.

■     Drinck & Voß (2020). Projekt SebiLe. https://www.erzwiss.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/sexuelle-bildung-im-schulalltag-zu-wenig-beachtet-2020-11-16/

■     Döring, N. (2011). Pornografie-Kompetenz: Definition und Förderung. Zeitschrift für Sexualforschung; 24; 228 –255

■     Döring, N. Sexualaufklärung im Internet. Bundesgesundheitsbl 60, 1016–1026 (2017). doi.org/10.1007/s00103-017-2591-0

■     Pro familia Hamburg (2020) https://www.profamilia-hamburg.de/de/home.html

■     Serati, M., Salvatore, S. & Rizk, D. Female genital cosmetic surgery: the good, the bad, and the ugly. Int Urogynecol J 29, 1411–1412 (2018). doi.org/10.1007/s00192-018-3707-2

■     Wienholz, S. (2022). "SeBiLe – Ergebnisse der quantitativen Erhebung", in Sexuelle Bildung für das Lehramt, M. Urban, S. Wienholz, and C. Khamis, Eds.: Psychosozial-Verlag, 2022, pp. 85–114.

Teach LOVE wird im Anwendungsteil ausgegründet und ist unter  

www.teach-love.de zu finden.

Danke an das Werner Jackstädt Zentrum und die Venture Werft für die Begleitung.

Verantwortlich