Studienunabhängige Lehrtätigkeit im Professionalisierungsprozess
Ein Kooperationsprojekt zusammen mit Dr. Ina Biederbeck (ZfL)
Der Lehrkräftemangel in Schleswig-Holstein ist ein sehr präsentes Thema der öffentlichen Berichterstattung und der aktuellen Landespolitik. Unabhängig von Schulformen und Unterrichtsfächern fehlen so viele Lehrkräfte, dass die Unterrichtsversorgung stark gefährdet ist und Notfallmaßnahmen als Akuthilfe diskutiert werden. Der Einsatz von Studierenden als Vertretungslehrkräfte ist eine dieser Notfallmaßnahmen, die jedoch aus verschiedenen Gründen sehr kontrovers diskutiert werden kann: So kommt sie zwar zum einen dem unveränderlich lauten Ruf von Studierenden nach mehr Praxis entgegen (Wenzl, Wernet & Kollmer, 2018), verändert jedoch damit auch das Professionalisierungserleben von Studierenden und den klassischen Ablauf des Professionalisierungsprozesses (Ulrich & Gröschner, 2020). Dieser wahrt eine kritische Distanz der wissenschaftlichen Theorie zur Handlungsebene, um praktische Erfahrungen auf ihrer Basis reflektieren und zu einer vernetzten Wissensbasis ausbauen zu können (Cramer, 2014, S. 346). Die Verbindung von Reflexionsprozessen und Unterrichtspraxis wird oft nicht selbstverständlich von Studierenden hergestellt, so dass frühe und unbegleitete Praxiserfahrungen zu einer Deprofessionalisierung führen könnten (Cramer, 2014, S. 349). Studien zur Effektivität von Praxisphasen im Studium unterstützen diesen Befund. So zeigten Bäuerlein, Fraefel, Reintjes und Jünger (2018), dass der Lernerfolg im Praktikum maßgeblich von der Qualität der Betreuung und Begleitung abhängt. Bedeutsame Lerneffekte wurden vor allem dann sichtbar, wenn Praxiserfahrungen systematisch mit Wissen aus Lehrveranstaltungen zu Lern- und Entwicklungsprozessen von Lernenden verknüpft werden (Bäuerlein et al., 2018).
In einer quantitativen Auftaktstudie wird erhoben, welchen Nebentätigkeiten Lehramtsstudierende in welchem Umfang nachgehen. Die Ergebnisse sollen die notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von Interviewleitfäden schaffen, um in einer nachfolgenden qualitativen Erhebung Hinweise darauf zu erhalten, wie sich die Praxiserfahrungen der Studierenden aus dem Vertretungsunterricht trotzdem für das Studium und im größeren Kontext der Lehrkräfteprofessionalisierung nutzbar machen lassen und welche Konsequenzen sich daraus für das Lehramt an Grundschulen und Sonderpädagogik an der EUF (und auch an anderen Standorten) ziehen lassen. Es sollen Studierende des Grundschullehramtes und des Lehramtes Sonderpädagogik aller Fächer und aller Semester zu ihrer Erwerbstätigkeit neben dem Studium befragt werden. In einem dritten Teilprojekt werden Dozierende der EUF und Studienleitungen des IQSH zu ihren Perspektiven auf studienunabhängige Lehrtätigkeit befragt.
Literatur
Bäuerlein, K., Fraefel, U., Reintjes, C. & Jünger, S. (2018). Selbstprofessionalisierung in der Schule? – Eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der studienunabhängigen Lehrtätigkeit von Lehramtsstudierenden im Schulfeld. In Fridrich, C. (Hrsg.), Forschungsperspektiven (S. 27–46). Wien [u.a.]: Lit-Verl.
Cramer, C. (2014). Theorie und Praxis in der Lehrerbildung: Bestimmung des Verhältnisses durch Synthese von theoretischen Zugängen, empirischen Befunden und Realisierungsformen. DDS - Die Deutsche Schule 106(4), S. 344–357. Abgerufen am 31.01.23 von https://www.waxmann.com/index.php%3FeID%3Ddownload%26id_artikel%3DART101534%26uid%3Dfrei.
Ulrich, I. & Gröschner, A. (Hrsg.) (2020). Praxissemester im Lehramtsstudium in Deutschland: Wirkungen auf Studierende: Wirkungen auf Studierende. 1. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Wenzl, T., Wernet, A. & Kollmer, I. (2018). Praxisparolen: Dekonstruktionen zum Praxiswunsch von Lehramtsstudierenden. Wiesbaden: Springer VS.
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