Bibelwissenschaft und sog. Judenfrage zur Zeit des Nationalsozialismus

Grundidee

Gegenwärtig rückt Antisemitismus durch Alltagsattacken – Bespucken und Beschimpfungen von Menschen, die erkennbar jüdisch sind – und durch Terroranschläge – man denke nur an den Mordanschlag auf die Synagoge in Halle am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur – verstärkt ins öffentliche gesellschaftliche Bewusstsein. Hier sind zur Prävention nicht zuletzt die Schulen gefordert. Welchen Beitrag aber kann der evangelische Religionsunterricht über allgemeine Appelle zu Toleranz und Nächstenliebe hinaus leisten? Welchen Vorschub leistet nicht gerade auch christliche Theologie zum Antijudaismus? Welche Form des Erinnerns ist letztlich nachhaltig präventiv wirksam?

Im Zentrum des Projekts stehen zwei ausgewiesene Neutestamentler: Gerhard Kittel (1888–1948, zuletzt Tübingen) und sein Schüler Walter Grundmann (1906–1976, zuletzt Jena), deren Arbeiten Generationen von Studierenden, Pastor:innen und Religionslehrkräften geprägt haben und auch heute noch für die Interpretation neutestamentlicher Texte prägen:

einerseits das 10-bändige Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament (ThWNT), dessen erste vier Bände von Gerhard Kittel und die Bände fünf bis zehn nach seinem Tod von seinem Schüler Gerhard Friedrich herausgegeben worden sind; andererseits wissenschaftliche Kommentierungen unter anderem zu den drei synoptischen Evangelien in der Reihe Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament (ThHK).

Beide wurden nach dem 2. Weltkrieg durch die Alliierten ihres Professorenamtes enthoben, weil sie ausgewiesene Antisemiten waren; und beide verfassten eine Verteidigungs- bzw. Rechtfertigungsschrift. Gerhard Kittel vertrat nach eigener Auskunft den Ansatz eines theologisch begründeten christlichen Antijudaismus als Mittel zur Lösung der sog. "Judenfrage" und als Instrument gegen einen radikalen Vulgärantisemitismus, während Walter Grundmann seine methodisch durchgeführte "Entjudung" von Neuem Testament, Katechismus und Gesangbuch mit dem Zweck der inkulturierenden Verdeutschung des Evangeliums und damit Verteidigung des christlichen Glaubens gegen die neugermanische Religion der Nationalsozialisten begründete.

Zu beiden wie auch zum ganzen Antisemitismus- bzw. Antijudaismuskomplex ist in den vergangenen Jahren viel geforscht und publiziert worden. Dies im Bildungshorizont der Antisemitismusprävention und einem bibel- wie biographiedidaktischen Ansatz zu bündeln, ist vornehmliches Ziel des Projekts. 

Impulse

Erste Impulse wurden durch die Teilnahme an einer Fachtagung zum sog. Eisenacher Entjudungsinstitut vom 18.-20. September 2019 in Eisenach mit der Eröffnung einer Ausstellung gesetzt. 

Das Buch-Projekt wird in enger Verzahnung von Forschung und Lehre seit dem Frühjahrssemester 2020 mit Lehrveranstaltungen an der Europa-Universität Flensburg durchgeführt.  

Berüchtigte Veröffentlichungen