Ringvorlesung "geschmack-los"

Geschmacklosigkeit bezieht sich zwar eigentlich auf eine (fehlende) Sinneserfahrung, wird aber oft im übertragenen Sinne verwendet. Das, was als geschmacklos bezeichnet wird, hat daher meistens wenig mit fadem Essen oder Trinken zu tun. Wie Oscar Wilde treffend sagte: "Mode ist das, was man selbst trägt. Geschmacklos ist das, was andere tragen." Geschmack und Geschmacklosigkeit liegen somit im Auge der Wahrnehmenden und damit liegt nahe, dass in dieser Ringvorlesung Forschende aus Bereichen wie Kunst, Literatur, oder Musik zu Wort kommen werden.

Als geschmacklos wird aber auch abgelehnt, was gesellschaftlichen Normen oder Werten widerspricht. Folgerichtig entstehen Wörter wie Schokoschaumkuss oder es resultiert die Umbenennung von Bundeswehrkasernen, Schulen und Straßen. Auch derartige Fragestellungen werden von Forschenden aus ihrer disziplinären Perspektive thematisiert werden.

Das Übertragen der Geschmacklosigkeit lässt sich aber auch noch eine Stufe weiterführen: dann wäre gute Wissenschaft das, was ich tue – und geschmacklose, also schlechte Wissenschaft das, was einige andere tun. Anders und angemessener formuliert sind dies Fragen, denen sich diese Ringvorlesung ebenfalls widmen möchte: Wo endet gute Wissenschaft? Und wie wird entschieden, was nicht mehr Gegenstand der wissenschaftlichen Analyse, oder angemessene Methode der wissenschaftlichen Disziplin ist? Dürfen Astronom*innen sich auch astrologisch betätigen? Dürfen Literaturwissenschaftler*innen zu Fan Fiction arbeiten? Wie fiktiv dürfen die Darstellungen von Geschichtswissenschafter*innen sein? Dürfen Wissenschaftler*innen Chat GPT bei der Abfassung von Texten nutzen?

Auch derartige Fragen nach den Grenzen der Wissenschaftlichkeit und deren Festlegung werden Thema einiger Beiträge sein.

Termine & Vorträge

25.03. Assoc. Prof. (SDU) Dr. Tobias Nanz
Institut für Germanistik

Geschmacklose Politik: Zur Strategie der Grenzüberschreitungen des Populismus

Was ist geschmacklose Politik? Es ist eine Politik, die gegen die Regeln der Etikette und des Protokolls verstößt, eine Politik, die stetig an der Grenzverschiebung zwischen dem Sagbaren und Unsagbaren arbeitet, Debatten mit Beleidigungen und Polarisierungen aufheizt und so insgesamt den Regelbruch und die Normalisierung untragbarer Zustände beabsichtigt. Der Vortrag untersucht diese Form der geschmacklosen Politik mit Ausführungen zur Geschichte des Protokolls und der Etikette und diskutiert, weshalb gerade populistische Politik auf Polarisierung, Empörung und Grenzüberschreitung setzt

08.04. Dr. Inken Carstensen-Egwuom
Abteilung Integrative Geographie

Landschaften des Zuckergeschmacks

Der Geschmack von Kolonialwaren hat globale Verflechtungen in den vergangenen Jahrhunderten geprägt. Zu diesen Waren gehören Muskatnuss, Kakao, Kaffee, Tee und wie im Beispiel des Vortrags: Zucker. Zucker hat sich über die vergangenen Jahrhunderte vom Luxusgut zum Massenprodukt entwickelt, in großen Mengen beispielsweise mit den bitteren Noten der Kolonialwaren Tee und Kaffee kombiniert. Produktion, Transport, Verarbeitung und Konsum von Zuckerrohr in unterschiedlichen Varianten spielte über Jahrhunderte auch für die Stadt Flensburg eine wichtige Rolle. Der Vortrag nimmt Flensburg zum Ausgangsort und bewegt sich zu Landschaften und sozialen Realitäten von Zuckerrohr-Plantagenökonomien, geprägt von Monokulturen, von Versklavung, Zwangsarbeit, Widerstand, Rebellionen und Überlebenskämpfen – und zu aktuellen kritischen Auseinandersetzungen damit. Die rahmende Frage lautet: Welche Überlegungen lassen sich aus diesen globalen Prozessen für aktuelle planetarische Krisen und unseren Umgang damit ableiten?

22.04. Dr. Claudia Plinz
Institut für Sachunterricht

Geschmack - kommt selten allein

Das Essenlernen beginnt vom ersten Lebenstag an über Duft, Geruch, Geschmack und Konsistenzen. Aber auch die Emotionen bei der Aufnahme von Speisen sind prägend, und Vorlieben und Abneigungen bilden sich heraus. Auf der menschlichen Zunge gibt es über 5.000 Geschmacksknospen. Jede dieser Knospen enthält 50 bis über 100 Sinneszellen mit spezifischen Rezeptoren, an denen die Moleküle aus der Nahrung andocken. Dabei sind in jeder Geschmacksknospe alle Geschmacksarten vertreten – süß, sauer, salzig, bitter und umami. Warum sind Vorlieben und Abneigungen von Mensch zu Mensch so unterschiedlich?

Historisch betrachtet waren die Essgewohnheiten vom Einkommen und den Umweltbedingungen (z.B. Ernte) beeinflusst. Gegenwärtige Entwicklungen zeigen eine Tendenz des Ausdrucks des Lebensstils über die Ernährung. Der Ess-Stil unterliegt stark den jeweils gängigen Moden und Trends und verändert sich durch individuelle Lebensgeschichten.  Die Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation des Einzelnen steht in engster Verbindung zur (alimentären) Geschmacksentwicklung und damit verbundener biografischer Lebensgestaltung: Jeder Mensch hat seine eigene Essgeschichte und individuelle Geschmacksentwicklung, die Teil seiner Lebensgeschichte ist.

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06.05. Dr. Christine Börtitz
Institut für Biologie und ihre Didaktik

Biologische Geschmacklosigkeiten im Wandel der Zeit. Was unser Geschmackssinn mit Leichen und Aliens zu tun hat

Was für uns Menschen geschmacklos ist, hängt von verschiedenen Rahmenbedingungen ab. Dabei spielen insbesondere Raum und Zeit eine Rolle, da sie eine Aussage darüber treffen, vor welchem moralischen und sozialen Hintergrund Dinge bewertet werden.

Ausgehend von der Klärung der Begrifflichkeiten "Geschmack" und "geschmacklos" sowie eines ersten Verständnisses des menschlichen Geschmackssinns, wird dem Vortrag ein erweitertes Geschmacksverständnis zugrunde gelegt. Beispiele aus der Invasionsbiologie, hier kommen die Aliens ins Spiel, sowie der historischen Entwicklung der Medizin / Humanbiologie zeigen, dass ihre Bewertung als "Geschmacklosigkeit" zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausfällt. Anhand dieser Beispiele wird ein Verständnis dafür erarbeitet, dass das, was als "geschmackvoll" bzw. "geschmacklos" angesehen wird, immer ein Abbild der Gesellschaft sowie ihrer Werte und Normen ist – so auch der Biologie.

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27.05. Prof. Dr. Marie-Christine Vierbuchen
Abteilung Sonderpädagogik des Lernens

Geschmack(lose) Bildung: Würze gegen Schulabsentismus

In diesem unterhaltsamen Vortrag erkunden wir die Welt der Geschmacklosigkeit – nicht im kulinarischen Sinne, sondern im Kontext von Bildung und Gesellschaft. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Phänomen des Schulabsentismus. Haben Sie vielleicht auch früher mal die Schule geschwänzt? Hatte das Konsequenzen? Warum fehlen manche Schülerinnen und Schüler im Unterricht? Warum sind so viele von Bildungsabbrüchen betroffen? Welche Konsequenzen hat das? Was können wir hier tun und warum betrifft dieses Thema die ganze Gesellschaft?

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10.06. Prof. Dr. Marcel Smolka
Abteilung Internationale und Institutionelle Ökonomik

Die moderne Ökonomik: Eine trost- und geschmacklose Wissenschaft?

In der Öffentlichkeit als zu mathematisch und realitätsfremd verschrien, scheint die Volkswirtschaftslehre blind gegenüber den Problemen unserer Zeit zu sein. Ist die VWL überhaupt eine Wissenschaft? Was trägt sie zur Lösung bei, wenn es um Armut, Mietexplosion und den Klimawandel geht? Oder dient sie allein den Profitinteressen des Großkapitals? Der Vortrag zeigt anhand aktueller Forschung, wie relevant und faszinierend die moderne Ökonomik ist, und dass sie zu Unrecht den Ruf einer "dismal science", einer trost- und geschmacklosen Wissenschaft, innehat.