Antisemitismus im europäischen Schulunterricht
Verbundprojekt präsentiert erste Ergebnisse
Die Bekämpfung des Antisemitismus kann allein aus nationaler Perspektive nicht erfolgreich sein - das ist die Ausgangsthese des Verbundprojekts "Antisemitismus in europäischen Schulunterricht" (AIES). Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 564 000 Euro finanzierte Projekt erforscht daher Dynamiken, Erscheinungsformen und Wirkungen des Antisemitismus in einer europäischen Perspektive. Die Wissenschaftler*innen der Europa-Universität Flensburg und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf konzentrieren sich dabei auf den europäischen Schulunterricht und untersuchen hauptsächlich nicht-jüdische, aber auch jüdische Schulen in den vier europäischen Ländern Deutschland, Frankreich, Spanien und Rumänien.
Erste Phase: Die Analyse von Schulmaterialien
"Wir haben in der ersten analytischen Phase des Projekts Schulmaterialien im europäischen Vergleich darauf hin untersucht, ob und inwiefern sie einseitig nationalen Perspektiven und Diskurstraditionen verhaftet sind und primär auf die Rolle des jeweiligen Staates im Kontext des Holocaust fokussieren", erklärt Iulia-Karin Patrut, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft im europäischen Kontext an der EUF. "Neben historischen Quellen müssen besonders auch fiktionale Materialien zu diesen Themenfeldern mit ihren emotionslenkenden Faktoren kritisch reflektiert werden, denn es gilt, deren Risiken wie z.B. die Erzeugung von Ressentiments, aber auch Chancen wie das Ermöglichen von Empathie und Solidarisierung sehr genau zu analysieren und deren Vor- und Nachteile in der Verwendung in einem schulischen Kontext abzuwägen."
Thematisierung von Antisemitismus ist oftmals von den Interessen der Lehrerinnen und Lehrern abhängig
Erste, teilweise überraschende Ergebnisse werden im Mai auf einer Tagung vorgestellt, wie Iulia Patrut erklärt: "Überrascht hat uns einiges: Dies bestätigten Gespräche mit Expertinnen und Experten an Schulen. In Spanien nimmt das Thema, das lange vernachlässigt wurde, gerade an Fahrt auf, es werden zahlreiche Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer entwickelt und angeboten. Zu den größeren Überraschungen zählt, dass Rumänien, ein Land, das jenseits des Eisernen Vorhangs lag und erst nach 1989 mit der Aufarbeitung des Holocausts begann, Antisemitismus und jüdische Kulturgeschichte als Unterrichtsfach einführt, verpflichtend für alle Schularten."
Zweite Phase: Aufbau digitaler Unterrichtsmaterialien
Auf diesen Befunden aufbauend werden in einer zweiten, praktischen Phase konkrete
Unterrichtsmodule und -materialen entworfen und im Schulunterricht der beteiligten Länder erprobt. Die Unterrichtsmaterialen für Schulen und universitäre Lehrerausbildung müssen der Aufgabe, Antisemitismus gesamteuropäisch zu bekämpfen, gerecht werden. "Zugleich ist es erforderlich, diese Materialien entsprechend einer sich wandelnden Nutzung visueller und digitaler Medien zu konzipieren", sagt Marco Thomas Bosshard, Professor für spanische Literatur- und Kulturwissenschaft. "Wir wollen daher die Materialien digital aufbereiten und online zur Verfügung stellen. So wollen wir einen transnationalen Dialog und Austausch von Schulklassen der Oberstufe aus mehreren Ländern auf einer gemeinsamen Materialgrundlage ermöglichen."
Das Projekt AIES: Grundlegend und anwendungsbezogen
Das Projekt trägt dazu bei, auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse Ressentiments und Anfeindungen von Jüdinnen und Juden zu bekämpfen und die Vielfalt jüdischen Lebens in Europa in den Blick zu rücken. Das Projekt betreibt in dieser Hinsicht sowohl Grundlagenforschung, ist aber auch dezidiert anwendungsbezogen: Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in die schulische und politische Bildung einfließen und auch in die breite Öffentlichkeit hinein vermittelt werden.