Christians Auslandssemester in Kolumbien
Der ehemalige Lehramtsstudent Christian hat sein Auslandsjahr 2018 an der Pontificia Universidad Javeriana in Kolumbien verbracht. Wir haben ein paar Jahre später nachgefragt, wie er heute auf die Zeit zurückblickt.
Lieber Christian, was machst du heute beruflich?
Ich mache aktuell noch meinen Master (in Philosophie) und schreibe meine Masterarbeit über die Pädagogik des globalen Südens. Nebenberuflich arbeite ich als interkultureller Trainer und gebe Seminare mit europäischen Freiwilligen aus aller Welt für das Programm "European Solidarity Fonds". In den Seminaren geht es darum, die Menschen willkommen zu heißen, kritische Bildungsarbeit zu leisten und wichtige Themen zu reflektieren.
Wie blickst du heute auf deinen Auslandsaufenthalt in Bogotá zurück?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich hatte eine richtig gute Zeit dort, habe sehr viele Freunde gefunden und den Aufenthalt sogar noch um ein Semester verlängert, sodass ich insgesamt ein Jahr da war. Ich vermisse Kolumbien und vor allem die Freiheit, die ich dort hatte, sehr. Diese Freiheit war aber sehr stark an meine Privilegien geknüpft, die man als weißer Mensch in einem Land des globalen Südens per se hat, was mir sehr stark bewusst geworden ist. Ich habe Kurse lateinamerikanischer Philosophie besucht und viel Kritik am kolonialen System und an Europa mitbekommen. Zusätzlich habe ich zum Beispiel auch einen Streik an der Uni miterlebt, der zu Straßenaufständen geführt hat. Da die öffentliche Uni, an der der Streik stattfand, direkt neben unserer Privatuni lag, kam es dazu, dass Tränengas von der Polizei auch auf unseren Campus wehte. Das sorgte dann dafür, dass die eh schon protestierenden Studierenden sich mit den anderen Studierenden verbunden und zusammen demonstriert haben. Ich war mit dabei und trotzdem hat dann bei mir mitgeklungen, dass ich ja auch in einem Jahr einfach wieder weg bin und diese ganzen politischen Themen, in die ich zu dem Zeitpunkt involviert war, mich dann nicht mehr betreffen. Somit sind die Kolonialgeschichte und die heutigen Strukturen von Kolumbien das, worauf ich vor allem zurückblicke.
Inwiefern hat dein Auslandsaufenthalt eine Rolle für dein weiteres Leben gespielt?
Ich würde sagen eine sehr starke. Ich hatte die Chance an der Uni lateinamerikanische Pädagogik zu studieren und da habe ich auch einen Professor kennengelernt, der mich nachhaltig beeindruckt und der meine Frage, ob ich Lehrer werden möchte, nochmal auf eine ganz andere Art beantwortet hat. Generell habe ich viele Kurse zu lateinamerikanischer Philosophie und Pädagogik belegt, die ich an der Uni Flensburg nie hätte belegen können. Und diese Kurse haben mich auch ganz stark darin geprägt, welchen Master ich jetzt studiere und, dass ich meine Masterarbeit über die Pädagogik des globalen Südens schreibe. Ich glaube für meine Ausbildung im Bereich Lehramt war es extrem relevant, dass ich dort war, und es hat mich sehr viele Bildungsfragen von einer ganz neuen Seite betrachten lassen. Das lag aber auch daran, dass ich mich außerhalb der Uni noch ehrenamtlich im sozialen Bereich (Educación para la paz/ Friedensbildung) engagiert habe. Auch, wie man Beziehungen über die Ferne führen kann, ist etwas, was ich aus dem Aufenthalt mitgenommen habe. Und natürlich, dass ich sehr viel gesehen und gemacht habe.
Fühlst du dich mit Kolumbien nach wie vor verbunden?
Die Frage ist ziemlich spannend, denn: Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seiten nein. Ich würde sagen nein, weil ich seitdem nicht mehr dort war und es sehr schwer finde, über Distanz und mit Zeitverschiebung die Kontakte aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite, wenn es um das Kulturelle geht: Ich lese sehr viele spanische Bücher und auch Literatur aus Kolumbien. Eine meine Literaturprofessorinnen hat mir ein Buch geschenkt, das immer noch in meinem Regal steht, das ist eine ganz besondere Erinnerung für mich. Auch von den politischen Diskursen her fühle ich mich noch sehr verbunden, da ich mich vor Ort sehr viel mit den Leuten und dem System auseinandergesetzt habe und diese Perspektive bleibt.
Aus welchen Gründen würdest du einen Auslandsaufenthalt empfehlen?
Ich sehe das Auslandssemester als Riesenchance für alle Studierenden. Vorweg gesagt: Ich glaube ein Auslandssemester hat für verschiedene Studierende aufgrund unserer Situiertheit verschiedene Bedeutungen. Man hat Zeit, sich intensiv mit sich selbst auseinander zu setzen und sich selbst neu kennenzulernen. Geh ins nicht-europäische Ausland! Später wird man in der Schule, sowohl im Lehrerkollegium als auch in der Klasse, Leute haben, die aus dem nicht-europäischen Ausland kommen. Durch die Auslandserfahrung lernt man, mehr Empathie für Menschen zu empfinden, die mehrsprachig aufgewachsen oder bestimmten sozialen Bedingungen ausgesetzt sind. Dadurch wird man ein besserer Lehrer, eine bessere Lehrerin, weil man davon absieht, koloniale Systeme zu lehren. Abgesehen davon, macht es einen einfach zu einem glücklicheren Menschen, weil man aus den gewohnten Strukturen ausbricht, sich mit sich selbst befasst und danach anders auf sich schaut.