Call for Proposals

Erziehung in und durch Schule?!
Theoretische Klärungen und empirische Sondierungen

Jahrestagung der DGfE-Kommission Schulforschung und Didaktik
10. bis 12. September 2025
Europa-Universität Flensburg

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"Die Schule – als Institution – erzieht", konstatierte Bernfeld vor 100 Jahren in Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung und verwies damit auf gesellschaftliche Reproduktionsprozesse, die sich unabhängig von einer der Grundfragen der Erziehung, nämlich ‚was die ältere Gene-ration mit der jüngeren denn eigentlich wolle‘ (Schleiermacher), durch "öffentliche Erziehung" in der gesellschaftlichen Institution Schule vollziehen. Neben pädagogisch-programmatische Erziehungsabsichten und praktisches Erziehungshandeln in Schule tritt damit, in spannungs-voller Weise, die Erziehung durch Schule.
Gilt Bernfelds Sisyphos bis heute als eines der klarsichtigsten und einschlägigsten Werke der Erziehungswissenschaft (Lohmann 2021), sensibilisiert die Kritik auch heute noch dafür, dass die Arbeit am Begriff der Erziehung keinen zentralen Stellenwert in der Erziehungswissen-schaft innehat. Erziehungslehren verweisen auf eine Arbeit am Begriff, eine empirisch-for-schende Befassung mit Erziehung aber spielt in der Wissenschaft von der Erziehung bis heute jedoch kaum eine Rolle (Blankertz 1982; Flitner 1985; Tischer 1990; Steffel 2018; Rademacher 2018; Nohl 2020; Winkler 2023; Haupt 2023; Goldmann, Richter & Wenzl 2024). Auch in der Schulpädagogik sind Forschungsarbeiten zu Erziehung, gar größere systematische Studien, bislang Mangelware. Zwar finden sich zunehmend theoretische wie empirische Erkundungen zur Erziehung in und durch Schule (Budde & Rademacher 2023; Leonhardt et al. 2023; Liebel & Meade 2023), eine kontinuierliche, systematische Arbeit an dem Begriff der Erziehung ist jedoch nur in Ansätzen zu verzeichnen. Allenfalls praxisnahe Ratgeberliteratur für (ange-hende) Lehrpersonen widmet sich Fragen des "Klarkommens mit Schülern" (Lohmann 2011) oder der "Führung im Klassenzimmer" (Schuster 2020). Erst in den vergangenen Jahren lässt sich sowohl in der erziehungswissenschaftlichen als auch der schulpädagogischen Forschung eine Art "Rückbesinnung" auf einen der zentralen (schul-)pädagogischen Begriffe feststellen (Nohl 2020; Reichenbach 2011; Giesinger 2011; Ricken 2021). Diese erscheint uns notwendig, da auch im wissenschaftlichen Kontext vielfach mit einer eher alltagsweltlichen Vorstellung von Erziehung operiert wird.
In der Schulpraxis lässt sich seit Längerem eine Art "Comeback" der Erziehung feststellen, im Zentrum stehen dabei jedoch kaum Überlegungen des Erziehens durch Unterricht (Gruschka 2013, Pollmanns 2019), wie etwa von Herbart ausgeführt, sondern solche, die unmittelbar am Verhalten der Schüler*innen ansetzen und dieses zu bearbeiten suchen. Disziplinierung im Unterricht tendiert schon seit den 1970er Jahren weg von der Frage der Möglichkeiten und Grenzen pädagogischen Strafens hin zu einer Psychologisierung (und nicht selten Pathologi-sierung) der individuellen undisziplinierten Schüler*innen, die mit Formen der schulischen In-stitutionalisierung von Verhaltenserwartungen kontextuiert sind (Richter 2018; Gruschka, Pol-lmanns & Leser 2021; Wenzl 2023). Neben modernen Formen von Meritentafeln (Betragensleitern etc.), speziellen Orten zur Bearbeitung von als problematisch erachtetem Verhalten (Trainingsräume, Inseln etc.) und Konzepten zur Regelung des Umgangs miteinan-der (Giraffensprache, Neue Autorität etc.), werden zunehmend erwerbbare Tools (Lärmam-peln) und Angebote aus (ursprünglich) therapeutischen Kontexten (Schulhunde, Auszeiträume etc.) genutzt, mit denen die gewünschten Veränderungen eintreten sollen. Scheinbar paradox dazu lassen sich Tendenzen zur Betonung von Eigenverantwortlichkeit und Selbsterziehung erkennen (Klassenrat, Portfolioarbeit etc.). Zusätzlich werden extracurriculare Programme auf-gelegt, in die erzieherische Fragen gleichsam ausgelagert werden (Soziales Lernen, Demo-kratiepädagogik etc.) (Budde 2020).

Im Rahmen der Kommissionstagung streben wir daher Reflexionen der (gesellschaftlichen) Bedeutung von Erziehung durch Schule, der (pädagogischen) Bedeutung von Erziehung in Schule und deren Verhältnis zueinander an. Folgende Themenfelder und Fragen erscheinen uns dafür einer Bearbeitung wert:

1. Verhältnis von Theorie zu Empirie

  • In welchem Verhältnis stehen erziehungsphilosophische Bestimmungen von Erziehung zu empirischer Erziehungsforschung?
  • In welchem Verhältnis stehen theoretische Begriffsbildung(en) zu empirischen Bestimmung von Erziehung(sphänomenen) bei unterschiedlichen Forschungsansätzen?
  • Welche Relevanz entfaltet der Umgang mit Normativität für methodologische Fragen der Erforschung von Erziehung?
  • Welche empirischen Phänomene hilft der Erziehungsbegriff aufzuklären und zu verstehen? Was würde (der Schulforschung) fehlen, wenn es den Erziehungsbegriff nicht gäbe?

2. Begriffliche Schärfungen und Relationierungen

  • Was kennzeichnet (schulische) Erziehung? Inwiefern weist sie eine "Eigenstruktur" auf?
  • Inwiefern ist Erziehung ihrem Begriff nach normativ auf ein Ziel wie Autonomie oder Mündigkeit oder aber Normierung und Disziplinierung ausgerichtet? Lassen sich aus historischer Perspektive Veränderungen der Normativität der Erziehung bestimmen? Wird/Ist die Normativität der Erziehung im Kontext von Inklusion neu(?) oder anders(?) zu fassen?
  • In welchem Verhältnis steht der Erziehungsbegriff zu anderen Grundbegriffen der Disziplin (Sozialisation, Bildung, Sorge, Disziplinierung, Leistung u.a.)?
  • In welchem Verhältnis steht schulische Erziehung zu Erziehungspraktiken und -diskursen an anderen Orten/ in anderen Institutionen (Bildungspolitik, Familie, Jugendhilfe, öffentlicher Raum)?

3. Erziehung durch die Institution Schule und in ihr

  • (Wie) Lässt sich das spezifisch Schulische der Erziehung bestimmen?
  • In welchem Verhältnis stehen die Erziehungs(ein)wirkungen, die Schule als "öffentliche Erziehung" qua institutioneller Verfasstheit mit sich bringt (Anstaltsdisziplin, Schulzucht, Schulpflicht), mit jenen, die sie zugleich pädagogisch programmatisch mit schulischem Unterricht (bspw. erziehender Unterricht (Herbart)) verfolgt?
  • Wer oder was erzieht in und durch Schule? In welchem Verhältnis steht das Erziehungshandeln von Lehrpersonen erzieherischen Effekten (schulischer) Dinge (Portfolios, Lärmampeln, Schulhunde, Meritentafeln, digitaler tools…)? (Wie) lassen sich nicht-menschliche Erziehungsphänomene bestimmen?
  • In welchem Verhältnis steht schulische bzw. unterrichtliche Erziehung zu schulischer/ unterrichtlicher Bildung und zu Didaktik?

4. Erziehung als tabuierte/aufgegebene Aufgabe der Schule?

  • In welcher Weise verhält sich einerseits die Schule, andererseits die Erziehungswissenschaft zur Erziehung? Welche Spannungen zeigen sich (bspw. Wunsch nach "Neuer Autorität" vs. Tabuierung von Erziehung)? In welcher Weise wandeln sich historisch und gegenwärtig gesellschaftliche und politische Vorstellungen über schulischer Erziehung?
  • Lassen sich, bspw. mit der Kritik am Adultismus, neue Varianten einer Anti-Pädagogik ausmachen? Inwiefern lassen sich Lehren aus dieser für die aktuellen Diskurse ziehen?

Einreichung

Wir laden zur Einreichung von Beiträgen zum Tagungsthema und den aufgeworfenen Fragen ein. Beiträge können in zwei Formaten eingereicht werden:

  • Einzelvorträge, die von der Tagungsorganisation zu thematisch passenden Panels zusammengestellt werden,
  • Sessions, die unterschiedlich gefüllt werden können. Möglich sind z.B. Symposien mit inhaltlich aufeinander bezogenen Beiträgen für eine gemeinsame, übergreifende Diskussion; Forschungswerkstätten, in denen an Datenmaterial gearbeitet wird, sowie Workshops

Sowohl Panels als auch Sessions sind auf 120 Minuten ausgerichtet und sollen in der Regel drei Beiträge à ca. 20 Minuten umfassen, damit ausreichend Zeit für Fragen und Diskussion bleibt.

Beitragsvorschläge, die einen schulpädagogischen Bezug zum Tagungsthema aufweisen und ihre Ziele und ihr Vorgehen empirisch, theoretisch und/oder historisch klar umreißen, können auf Deutsch oder Englisch bis spätestens zum 12.01.2025 via Conftool eingereicht werden (s.o.). Für die Abstracts für Einzelvorträge ist ein Umfang von max. 1.500 Zeichen und für ganze Sessions von max. 5.000 Zeichen (etwa 1.000 Zeichen pro Beitrag) vorgesehen (inkl. Leerzeichen, exkl. Bibliografie). Die Beiträge werden in einem Peer-Review-Verfahren begutachtet. Sie erhalten von uns bis Ende März eine Rückmeldung über das Ergebnis des Begutachtungsprozesses. Mehrfachauftritte als Vortragende sind nicht möglich.

Bei Fragen erreichen Sie uns unter erziehung-dgfe25-TextEinschliesslichBindestricheBitteEntfernen-@uni-flensburg.de