Tagungsprogramm

Wir freuen uns, Ihnen die Keynotespeaker*innen vorstellen zu können:

Meike Sophia Baader

Veraltet oder unerlässlich produktiv?
Historische und systematische Perspektiven auf den Erziehungsbegriff

Der Vortrag nimmt die Diskussionen und Positionen zum Erziehungsbegriff aus den letzten Jahren in den Blick. Er analysiert dabei die disziplinären Verschiebungen von Erziehung zu Bildung und geht den möglichen Gründen für diese Entwicklung nach. Er diskutiert das Narrativ (Baader/Koch 2025) vom "veralteten Erziehungsbegriff" und fragt genauer nach dessen Funktion. Zudem interessiert er sich für einen möglichen Zusammenhang mit Prozessen der "(De)Institutionalisierungen von Erziehung und Bildung" (Casale et al. 2024).    

Der Vortrag plädiert dafür, den Erziehungsbegriff nicht aufzugeben und mit Blick auf (historische) Kontexte und Handlungsfelder analytisch genauer zu bestimmen, in welchen Zusammenhängen von Erziehung und in welchen von Bildung die Rede ist und in welchen Handlungsfeldern zu welchem Zeitpunkt Verschiebungen mit welchen möglichen Intentionen vorgenommen wurden bzw. werden (Baader 2025).  Dabei fragt der Vortrag immer wieder nach der Differenz zwischen disziplinären Tendenzen und denjenigen in verschiedenen Handlungsfeldern sowie nach deren möglichem Zusammenspiel. Fokussiert werden zudem Kontexte, die den Erziehungsbegriff nicht aufgeben, sondern gerade stark machen und Erziehung einfordern. Dabei geraten sowohl neurechte Positionen in den Blick wie auch Ansätze der "Neuen Autorität". In die Überlegungen des Vortrags werden Geschlechteraspekte einbezogen.

Andreas Wernet

Die Institution erzieht nicht

Bernfelds berühmte Formel, Die Schule – als Institution – erzieht, stellt einen in einer einfachen und kurzen Aussage komprimierten Theorievorschlag dar: Die Kraft der Erziehung ist eine gesellschaftliche. Sie liegt nicht in Händen der pädagogischen Akteure. Sie beruht auf der institutionellen Verfasstheit der Schule. Der Vorstellung, pädagogisches Handeln könne im gesellschaftlich eingerichteten Gehäuse der Institution etwas bewirken, ist damit eine klare Absage erteilt. Damit greift Bernfeld den später formulierten sozialwissenschaftlichen Theorien der schulischen Sozialisation (Parsons, Dreeben, Fend) vor.

Dieser Position kann man kaum widersprechen. Man kann ihr aber attestieren, dass sie nicht dazu geeignet ist, die Probleme pädagogischen Handelns, die sich im Gehäuse der Institution empirisch rekonstruieren lassen, zu beschreiben. Sie kann zwar die ‚Begrenztheit ‘ pädagogischen Handelns erklären. Aber sie hat kein theoretisches Sensorium für die Probleme des performativen Vollzugs der erzieherischen Praxis, der zwar institutionell gerahmt ist, dessen handlungspraktische Realisierung aber den Akteuren überantwortet ist. Dabei ist es nicht nur von zentraler Bedeutung, diese mikrologische Ebene erzieherischen Handelns theoriesprachlich zu würdigen, sondern sie darüber hinaus in systematischen Bezug zur institutionalisierten Struktur schulischer Sozialisation zu setzen.

Anne Kirschner

Erziehung unmöglich!?
Diskursanalytische Einblicke und Blindflecke in Erzählungen von ausgestiegenen Lehrkräften

In Ausstiegserzählungen von Lehrkräften, die den Schuldienst vorzeitig verlassen haben, kommen auch vielgestaltige Erziehungsvorstellungen und -maßnahmen, Aussagen über (fehlende) Erziehung auf Seiten der Schülerinnen und Schüler sowie die Rolle der Eltern im Zuge von Positionierungen zu schulischen und gesellschaftlichen Anforderungen zur Sprache. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Erzählungen als Resultat einer Provokation zu lesen sind, die den eigenen Ausstieg im Sinne eines nachträglichen Sinnstiftungsversuchs hervorbringt. Folglich werden die dort aufgerufenen Erziehungsphänomene als diskursiv gerahmte Einwebungen in ein Ringen der Erzählenden um Anerkennung und Autonomie in Auseinandersetzung mit der Organisation Schule betrachtet. Aus dieser diskursanalytischen Perspektive erscheint Erziehung in einem dreifachen Sinne unmöglich zu sein: als Negativetablierung, Verlustfigur und Ex-post-Phänomen. Der Vortrag spürt diesen Unmöglichkeiten als diskursive Strategien nach und diskutiert die Reichweite der dabei zugrundeliegenden empirischen Bestimmung von Erziehung(sphänomenen).