Interdisziplinäres Kolloquium
Sozioökonomische Ungleichheit
Die vergangene Dekade war durch Krisen gekennzeichnet, die sozio-ökonomische Ungleichheit zu einer der größten Herausforderungen demokratischer Politik gemacht haben: Staatsschuldenkrise, Migrationsbewegungen, Kriege und Klimawandel tragen auf je spezifische Weise zur Vertiefung des Grabens zwischen Arm und Reich bei. Im internationalen Vergleich aller OECD-Länder zeigt sich eine signifikante Korrelation sozio-ökonomischer Ungleichheit mit fehlender sozialer Mobilität, ungleichen Bildungschancen, erhöhter Wahrscheinlichkeit strafrechtlicher Verfolgung, dem Risiko mentaler wie physischer Erkrankungen und einer unterdurchschnittlichen Lebenserwartung. Die Fragen und Probleme sozio-ökonomischer Ungleichheit werden gegenwärtig deswegen mit ungemeiner Dringlichkeit und im Kontext einander überlagernder Ungleichheiten, Diskriminierungs- und Exklusionsformen in Politik und Wissenschaft verhandelt als zeitgenössische Neuauflage der klassischen Trias race, class, gender. Die Vortragsreihe des Interdisziplinären Kolloquiums der Europa-Universität Flensburg behandelt im Herbstsemester 2023 das Phänomen sozio-ökonomischer Ungleichheit und sucht nach Antworten aus verschiedenen disziplinären Perspektiven. In den Sozialwissenschaften sind sozialstrukturelle Differenzierungen (hierarchische Klassenbildung) zusammen mit der Differenzierung von Inklusion und Exklusion und der von Zentrum und Peripherie von Beginn an zentrale Analysekategorien. Derzeit unterläuft die erstmals vollständige Globalisierung "der Schicksalsmacht des modernen Lebens, des Kapitalismus" (Weber) das politische Programm von Demokratisierung und Sozialstaat durch die irreversibel gewordene Umstellung von state-embedded markets auf market-embedded states: Wochenmarkt statt Weltmarkt ist keine Lösung mehr. In der Geschichtswissenschaft hat die seit den 1990er-Jahren etwas zum Stillstand gekommene Ungleichheitsforschung nach Thomas Pikettys Welterfolg wieder an Bedeutung gewonnen. Im Fokus stehen dabei langfristige Veränderungen von Ungleichheitsverhältnissen nicht nur in Bezug auf Einkommen und Vermögen, sondern auch hinsichtlich von Bildung, Wohnen und Gesundheit. Zudem ist fast erstmalig auch Reichtum als Spitze der Ungleichheitsrelation in den Blick gekommen. Die Literaturwissenschaft untersucht gegenwärtig verflochtene Themen wie prekäre Arbeit, Armut, scheiternde Bildungsaufstiege, Gender-Machtasymmetrien, Erfahrungen von Krieg, Vertreibung, Flucht und Migration in intersektionaler Perspektive. Die Rechtswissenschaft diskutiert armutsbedingte Ungleichbehandlungen im Strafrecht, die Anerkennung sozio-ökonomischer Ungleichheit als antidiskriminierungsrechtliche Kategorie oder soziale Rechte auf Zugang zu lebensnotwendigen Gütern.
Das Interdisziplinäre Kolloquium adressiert exemplarisch folgende Leitfragen:
- Wie wird sozio-ökonomische Ungleichheit verstanden und definiert?
- Wie hat sich dieses Verständnis im Laufe der Zeit verändert?
- In welchen Praktiken schlägt sozio-ökonomische Ungleichheit sich in Lebenswirklichkeiten von Individuen, sozialen Gruppen oder politischen Institutionen in der Bundesrepublik, Europa, global nieder?
- Welchen Blick richten Künste, Medien und Literatur auf sozio-ökonomische Ungleichheit, welche Praktiken ästhetischer Resilienz stellen sie bereit?
- Wie zementiert Recht sozio-ökonomische Ungleichheit, welche Möglichkeiten ihrer Überwindung stellt Recht bereit?
- Welche Gegenentwürfe und Utopien werden in wissenschaftlichen Disziplinen, Politik und Zivilgesellschaft entwickelt?
Veranstalter*innen:
- Prof. Dr. Marc Buggeln (Geschichtswissenschaft)
- Prof. Dr. Hauke Brunkhorst (Soziologie)
- Prof. Dr. Anna-Katharina Mangold (Rechtswissenschaft)
- Jun.-Prof. Dr. Reto Rössler (Germanistik/Neuere deutsche Literaturwissenschaft)
Ort / Zeit: immer dienstags von 18:15-19:45 Uhr in Raum HEL 161 sowie virtuell per WebEx
Programm (HeSe 23/24)
Programm: als PDF mit einer Präsentation der Fragestellung des Kolloquiums.
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!
Zur Gegenwart von Kollonialität
Das Interdisziplinäre Kolloquium wird organisiert von:
- Sybille Bauriedl
- Birgit Däwes
- Katharina Mangold [30692]
- Anne Reichold
- Christiane Reinecke