Programm

11:30-12:00 Begrüßung & Organisation (HEL 160)
12:00-13:00 Plenarvortrag (HEL 160)
Erziehungspraktiken in der Schule – eine kasuistische Perspektive
(Karin Bräu, Mainz)
13:00-13:30 Mittagspause
13:30-15:30 Workshop-Session 1
  • a)    Erziehungspraktiken in der Grundschule (Georg Breidenstein, Halle) (HEL 166)
  • b)    Erziehung als Kooperation? Aushandlungen des Verhältnisses von Schule und Familie in Arbeitshilfen für Lehrkräfte (Marina Dangelat, Christine Thon, Flensburg) (HEL 167)
15:30-15:45 Kaffeepause
15:45-17:45 Workshop-Session 2
  • a)  "Die Weiße Weste" – Impressionen aus dem Klassenrat (Jürgen Budde, Nora Weuster, Flensburg) (HEL 166)
  • b)  Schul- und professionstheoretisch gerahmte Rekonstruktionen zur schulischen Eigen- und gesellschaftlichen Fremdperspektive auf den ‚Erziehungsauftrag‘ der Schule (Richard Lischka-Schmidt, Halle) (HEL 167)
17:45-18:45 Mitgliederversammlung (HEL 160)
ca. 19:30 Gemeinsames Abendessen
9:30-10:30 Plenarvortrag (HEL 160)
Über den Erziehungsaspekt beim Unterrichten. Theoretische und kasuistische Erkundungen (Sieglinde Jornitz, Frankfurt a. M.)
10:30-11:00 Kaffeepause
11:00-13:00 Workshop-Session 3
  • a)    Was geschieht beim Arbeiten am Fall? Die Deutung einer Erziehungs-Problematik durch Studierende einer Pädagogischen Hochschule (Hannes Ummel, Zürich) (HEL 166)
  • b)    Eine Belastungsprobe für das Verhältnis von Schule und Familie? Pädagogische Aversionen gegen den schulischen Auslandsaufenthalt (Christian Stichweh, Hannover) (HEL 167)
13:00-13:30 Abschluss und Ausblick (HEL 160)
Workshopübersicht

Workshop 1a - Breidenstein

Workshop 1a - Georg Breidenstein (Halle)

Erziehungspraktiken in der Grundschule

Der Workshop richtet sich auf die Entwicklung erster Überlegungen zu schulischen Erziehungspraktiken als einem eigenen Untersuchungsgegenstand. Das Forschungsfeld der Erziehungspraktiken in der Grundschule soll zunächst grundlagentheoretisch etwas genauer konturiert werden (u.a. mit Luhmann/Schorr 1998; Nohl 2018 und Budde 2020). Dann sollen einige empirische Beobachtungen diskutiert werden mit dem Ziel, eine erste Heuristik zu entwickeln, die für weiterreichende empirische Forschung, aber auch für Unterrichtsbeobachtungen im Rahmen von Lehrerbildung genutzt werden kann.

Die Beobachtungen stammen aus drei kleineren Feldforschungen, die ich 2022 an drei deutlich kontrastierenden Grundschulen durchgeführt habe und sollen im Workshop vergleichend diskutiert werden. Von Interesse ist dabei u.a. das Verhältnis zwischen (immer wieder) notwendigen spontanen und improvisierenden Reaktionen in der Situation und der Ausstattung des erzieherischen Handelns mit einem Repertoire, das auf Routinen und Instrumente zurückgreift. Zu den zentralen Instrumenten des Erziehungshandelns gehört offensichtlich auch die Lehrperson selbst, die ihr Wohlwollen bzw. ihre Enttäuschung gegenüber den Schüler:innen sanktionierend einsetzt.


Budde, J. (2020). Ethnographie von Erziehungspraktiken. In Nohl, A. (Hg.), Rekonstruktive Erziehungsforschung (S. 61–79). Wiesbaden: Springer VS.
Luhmann, N., & Schorr, K.-E. (1988). Reflexionsprobleme im Erziehungssystem. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Nohl, A.-M. (2018). Zur intentionalen Struktur des Erziehens: eine praxeologische Perspektive. In Zeitschrift für Pädagogik 64.1: S. 121-138.

Workshop 1b - Dangelat & Thon

Workshop 1b - Marina Dangelat & Christine Thon (Flensburg)

Erziehung als Kooperation? Aushandlungen des Verhältnisses von Schule und Familie in Arbeitshilfen für Lehrkräfte

Die Schwierigkeit, Erziehung als Teil des Auftrags von Schule zu sehen, resultiert u.a. daraus, dass Erziehung primär in der Familie lokalisiert wird. Gegenwärtig wird in Programmatiken der "Erziehungspartnerschaft" das Verhältnis von öffentlichen Bildungsinstitutionen und Familie jedoch neu bestimmt. Damit rücken Ausgestaltung von und Zuständigkeiten für Erziehungsprozesse(n) in den Fokus und werden zum Gegenstand von Aushandlungen. Dies dokumentiert sich in einer Konjunktur von Ratgebern und Handreichungen, die sich an Lehrkräfte richten und eine Zusammenarbeit mit Eltern anleiten sollen. Sie definieren Professionalisierungsbedarfe, die häufig auf Fragen der Verständigung über oder Einflussnahme auf familiäre Erziehung bezogen sind.

Im Workshop wird an Auszügen aus Lehrkräfte-Ratgebern rekonstruiert, wie "Erziehung" konzeptualisiert wird und welche Positionierungen von Lehrkräften, Eltern und Schüler_innen in ihren (pädagogischen?) Verhältnissen zueinander vorgenommen werden.

Workshop 2a - Budde & Weuster

Workshop 2a - Jürgen Budde & Nora Weuster (Flensburg)

"Die Weiße Weste" – Erziehung im Klassenrat

Der Workshop behandelt ein ethnographisches 4-seitiges Protokoll aus dem Klassenrat einer 5. Klasse einer Gemeinschaftsschule. Kernstück ist die Verhaltensregulation durch die sog. ‚Weiße Weste‘, ein Artefakt, das gut sichtbar im Klassenraum aufgehängt ist und auf dem Fotos von verhaltenskonformen Schüler*innen ausgestellt werden, was mit spezifischen Gratifikationen einhergeht. Durch eine Verzahnung unterschiedlicher pädagogischer Methoden, Artefakte und Interaktionen werden spezifische Verhaltensnormen als Teil erzieherischer Praktiken verhandelt.

Gefragt wird, welche erzieherischen Praktiken sich rekonstruieren lassen, in welcher Weise durch erzieherische Praktiken eine pädagogische Ordnung hergestellt wird und welche Subjektivierungen damit verbunden sind (Budde 2020). Die Interpretation erfolgt sequenzanalytisch und codierend unter Berücksichtigung von Intentionalität, Interaktionen, Artefakten sowie Öffentlichkeit.


Budde, J. (2020): Ethnographie von Erziehungspraktiken. In: A. M. Nohl (Hg.): Rekonstruktive Erziehungsforschung. Wiesbaden: Springer, 61–79.

Workshop 2b - Lischka-Schmidt

Workshop 2b - Richard Lischka-Schmidt (Halle)

Schul- und professionstheoretisch gerahmte Rekonstruktionen zur schulischen Eigen- und gesellschaftlichen Fremdperspektive auf den ‚Erziehungsauftrag‘ der Schule

Der Workshop befasst sich mit der Frage, wie der ‚Erziehungsauftrag‘ der Schule von der Schule selbst und im Kontrast dazu von außerschulischen Akteuren verstanden und formuliert wird. Dazu sollen exemplarisch zwei Materialien gemeinsam sequenziell analysiert werden: zum einen die Eigenperspektive auf den ‚Erziehungsauftrag‘ auf der Homepage einer Schule (vgl. Grundschule Alter Garten o. J.), zum anderen die Fremdperspektive in Form einer im Spiegel erschienenen Kolumne (vgl. Lobo 2019). Auf Basis einer knappen schul- und professionstheoretischen Rahmung können insbesondere die Fragen verfolgt werden, ob und wie die Materialien Erziehung von anderen ‚Aufträgen‘ abgrenzen, wie sie Erziehung zu bestimmten Problemen, Phänomenen und Akteuren relationieren und auf welche Ebenen (Schule selbst, Schüler*innen, (Teile der) Gesellschaft) dabei Bezug genommen wird. Ausblickhaft lassen sich Anschlussfragen für die weitere (diskursanalytische) Forschung formulieren.


Grundschule Alter Garten (o. J.): Unser Erziehungskonzept. Abrufbar unter: http://www.grundschulealtergarten.de/index.php/schulprogramm/17-schulprogramm/84-unser-erziehungskonzept (letzter Zugriff: 16.11.2022).
Lobo, Sascha (2019): Weniger Bildung für die nächste Schülergeneration! Abrufbar unter: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/schule-der-zukunft-mehr-erziehung-weniger-bildung-kolumne-a-1276675.html (letzter Zugriff: 16.11.2022).

Workshop 3a - Ummel

Workshop 3a - Hannes Ummel (Zürich)

Was geschieht beim Arbeiten am Fall? Die Deutung einer Erziehungs-Problematik durch Studierende einer Pädagogischen Hochschule

Dieser Workshop widmet sich der Frage, wie Schule ausserhalb des Unterrichts, in einem «Schulischen Standortgespräch», Zuständigkeit in Erziehungsfragen in Abgrenzung von den Eltern interaktiv herstellt und welches generelle Verhältnis sich dadurch konstituiert.

Empirisch zugänglich gemacht wird dieser Fokus über die gemeinsame ergebnisoffene Analyse einer kasuistischen Werkstatt, in der Sek1-Studierende der PH Zürich ein solches formalisiertes Standortgespräch interpretieren. Dabei können Spannungsfelder und Fragen relevant werden wie: Werden Elemente grundlegender Strukturen im Gespräch zugänglich, z. B. Zuständigkeitszuweisungen und Verantwortlichkeiten, oder auch Hierarchie- und Machtaspekte? Welche Rolle spielen Identifikationen, und mit wem identifizieren sich Studierende? Wann und wie ermöglicht oder verhindert Identifikation die Auseinandersetzung mit einer Problematik? Als was wird das kasuistische Setting verstanden und an welchen impliziten Bezügen und Referenzen orientiert sich das Gespräch: Praxis, Wissenschaft, eigene Erfahrungen, etc.?

Das Material stammt aus dem von der PH Zürich geförderten Projekt «Was geschieht beim Arbeiten am Fall? Eine Sondierung rekonstruktiv-kasuistischer Lehrformate».
https://phzh.ch/de/Forschung/projektdatenbank/projektdetail/Was-geschieht-beim-Arbeiten-am-Fall--p217.html

Workshop 3b - Stichweh

Workshop 3b - Christian Stichweh (Hannover)

Eine Belastungsprobe für das Verhältnis von Schule und Familie? Pädagogische Aversionen gegen den schulischen Auslandsaufenthalt.

Die Erziehungsinstanzen Schule und Familie sind mit Blick auf den dualen Status von Kindern bzw. Schüler_innen strukturell aufeinander angewiesen (Helsper und Böhme 2004; Honig 1999). Der langfristige schulische Auslandsaufenthalt, als gesellschaftliche Institution (Wernet 2020), lässt sich dabei mitunter als familialer Erziehungs- und Bildungsanspruch der transnationalisierten Mittelklasse (Carlson et al. 2014) im Sinne einer concerted cultivation (Lareau 2011) verstehen, der sich im Kontext der Schüler_innenkarriere realisiert.

Dass dieser Anspruch schulorganisational nicht allein durch die konzeptionelle Profilierung als ‚Europaschule‘ bearbeitet werden kann, zeigt sich in der institutionalisierten Einrichtung von parallel dazu operierenden Beratungsangeboten. Dabei beraten sog. ‚Austauschkoordinator_innen‘ interessierte Schüler_innen sowie die familialen Akteure bezüglich der Planung und Durchführung langfristiger Auslandsaufenthalte. Eigentümlicherweise scheint dabei ein Typus pädagogischen Handelns zu existieren, der sich aversiv zu langfristigen schulischen Auslandsaufenthalten geriert. Dabei wird auf manifester Ebene die empfundene Wahrnehmung der Schule durch Familien als Dienstleistungsorganisation (Fend 2008) kritisiert. Inwiefern ist diese Form der Kritik authentischer Ausdruck einer schul-institutionellen Haltung, bei der schulische und familiale Bildungs- und Erziehungsinteressen konkurrent gedeutet werden?

Als Materialgrundlage für den Workshop dient ein mit einer Austauschkoordinatorin geführtes Leitfadeninterview zum Thema langfristiger schulischer Auslandsaufenthalte, welches mit Hilfe der Methode der Objektiven Hermeneutik interpretiert werden soll.


Carlson, Sören; Gerhards, Jürgen; Hans, Silke (2014): Klassenunterschiede im Zugang zu transnationalem Humankapital. Eine qualitative Studie zu schulischen Auslandsaufenthalten. In: Jürgen Gerhards, Silke Hans und Sören Carlson (Hg.): Globalisierung, Bildung und grenzüberschreitende Mobilität. Wiesbaden: Springer VS (Sozialstrukturanalyse), S. 127–152.
Fend, Helmut (2008): Schule gestalten: VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV).
Helsper, Werner; Böhme, Jeanette (Hg.) (2004): Handbuch der Schulforschung: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Honig, Michael-Sebastian (1999): Entwurf einer Theorie der Kindheit. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Lareau, Annette (2011): Unequal childhoods. Class, race, and family life. [Nachdr.]. Berkeley: Univ. of California Press.
Wernet, Andreas (2020): Der Schüleraustausch als familiale Selbstzumutung. In: Dorett Funcke (Hg.): Rekonstruktive Paar- und Familienforschung. 1. Auflage 2021. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH; Springer VS (Studientexte zur Soziologie), S. 261–290.